Satans Bruder
Oberlippe rissig, dick und rot wie ein Stück Leber.
Lächelte es mich an? Wieso schrie ich nicht?
Ich lächelte ebenfalls. Die Hand auf meiner Schulter war unendlich leicht. Seine Nase waren zwei schwarze Löcher mit einer weißlichen Fleischknospe darüber, verdreht wie ein Ringelschwanz.
Seine Haut verströmte einen scharfen Geruch, den ich aus Krankenhäusern kannte - antibiotische Salbe.
Die Hand auf meiner Schulter war so leicht, dass ich sie kaum spürte. Ich schaute sie an: vier kurze, dicke Finger, der Daumen platt wie eine Schaufel, kein Nagel am Zeigefinger.
Das Handgelenk war dünn und zerbrechlich, mit babyblauen Venen unter der schorfigen Haut.
Es steckte in einer sauberen weißen Hemdmanschette.
Seine Khakihose war an beiden Beinen dick aufgerollt und saß faltig um seine dünne Taille.
Ja, es war ein Mann - das nahm ich jedenfalls an. Ein Mann in fast neuen, braunen Schnürschuhen. Ein Mann, der vielleicht einen Meter fünfzig groß und vierzig Kilo schwer war.
»Hhh«, sagte er. »Hhhi.«
Ein krächzendes Flüstern. Ich kannte solche Stimmen - von Brandopfern, deren Kehlkopf und Stimmbänder zerstört waren und die gelernt hatten, aus dem Bauch zu reden.
Der Taschenmund blieb offen und versuchte, Worte zu formen. Ich roch noch einen medizinischen Duft: antiseptisches Mundwasser. Das halbwegs intakte Auge musterte mein Gesicht und die Oberlippe bog sich nach oben, versuchte zu lächeln.
»Hi«, sagte ich.
Das Auge studierte mich weiter. Blinzelte er mir zu? Er hatte keine Augenbrauen, doch die Haut über den Augenhöhlen faltete sich zu zwei Halbmonden, die wie Brauen aussahen.
Die Hand glitt von meiner Schulter. Der Arm baumelte schlaff an seiner Seite. Die Finger bogen sich auf eine Weise, wie es normalen Fingern unmöglich wäre. Weiß und schwammig.
Wie Würmer.
35
Er sah hinter mich und sein Kopf senkte sich scheu.
»Hi«, hörte ich Robin sagen.
Und dann sah ich etwas hinter ihm.
Ein anderer Mann kam aus den Schatten, noch kleiner und so verkrümmt, dass ihm der Kopf aus der Brust zu wachsen schien. Er trug ein rotschwarz kariertes Hemd, Bluejeans und hohe Basketballschuhe.
Er hatte zwei Augen und ein Ohr. Sein Blick war sanft - unschuldig.
Er bog einen Finger, drehte uns den Rücken zu und ging tiefer in die Höhle hinein. Der erste Mann folgte ihm.
Wir stolperten unsicher über den bröckeligen Boden, der den kleinen, weichen Männern keine Schwierigkeiten zu bereiten schien.
Nach und nach wandelte sich das Licht von Schwarz über Taubengrau zu Golden und wir kamen in ein riesiges, von mehreren Minenlampen beleuchtetes Höhlengewölbe.
Aus dem Boden erhoben sich grobe Felssäulen und an einer Wand waren Reihen von Kühlschränken aufgestellt, alle möglichen Farben und Marken. Die Stromkabel trafen sich an einem Verteilerkasten, der von einer dicken, schwarzen Leitung von irgendwo außerhalb der Höhle gespeist wurde.
In der Mitte standen zwei Picknicktische mit einem Dutzend Stühlen. Der saubere Steinboden war zum Teil mit einfachen Wollteppichen bedeckt. Hinter dem Verteilerkasten surrte ein Generator.
Hier war auch der Regen wieder zu hören, wenn auch ganz leise, doch alles war trocken.
Moreland kam herein und setzte sich ans Ende eines der Tische, wo eine große Schale mit frischem Obst stand. Er trug wie gewöhnlich ein weißes Hemd und schien seine Glatze geölt zu haben. Er griff nach einer Grapefruit.
Vier andere kleine, weiche Menschen kamen herein und setzten sich um ihn herum. Zwei trugen Baumwollkleider und wirkten noch zarter. Frauen. Die anderen trugen karierte Hemden und Jeans oder Khakihosen. Eine der Frauen war besonders winzig, nicht größer als eine Siebenjährige.
Sie schauten uns an, dann blickten sie wieder zu Moreland. Ihre entstellten Gesichter wirkten in diesem Licht noch bleicher.
Jeder hatte ein Gedeck vor sich: Obst, Kekse und Vitaminpillen und Gläser mit leuchtend orangefarbenen, roten und grünen Säften. In der Mitte des Tisches standen leere Flaschen, daneben Teller mit Rinden und Kernen.
Die beiden, die uns geführt hatten, blieben stehen und falteten die Hände. Andere murmelten etwas. Ihre verkümmerten Glieder zitterten.
»Keine Angst, das sind gute Menschen«, beruhigte sie Moreland. »Hallo, Robin. Alex ...«
»Hallo, Bill«, sagte ich wie betäubt.
»Es tut mir Leid, dass ich Sie durch solch einen Irrgarten führen musste - und dass Sie hier sind, Robin, damit hatte ich gar nicht gerechnet. Ich hoffe, Sie haben es
Weitere Kostenlose Bücher