Satans Bruder
schlecht durchdachte Projekte gesehen, die auf dem Papier überzeugend wirken mochten, aber in der Realität einfach nicht funktionierten. Man verlässt sich viel zu sehr auf den Segen von Kapital und Selbständigkeit. Sieh nur, was auf Nauru geschehen ist.«
»Nauru ist nicht typisch.«
»Aber es ist ganz aufschlussreich«, wandte sich Hoffman an uns. »Vielleicht haben Sie davon gehört: eine winzige Insel südöstlich von hier, mitten in Mikronesien. Zwanzig Quadratkilometer Guano. Vogelmist. Nach zweihundert Jahren Vernachlässigung durch britische und deutsche Kolonialmacht fällt plötzlich jemandem auf, dass die Insel eine pure Phosphatgrube ist. Die Briten und Deutschen arbeiten in der Ausbeutung zusammen, was den Insulanern nichts anderes als Grippe und Polio beschert. Dann bricht der Zweite Weltkrieg aus, die Japaner fallen ein und schicken die meisten als Zwangsarbeiter nach Chuuk. Nach dem Krieg ist Australien dran und die einheimischen Häuptlinge kriegen endlich einen guten Vertrag: Die Insel kommt in den Genuss eines Teils der Phosphatgewinne und der australischen Wohlfahrtsgesetze. 1968 gewährt Australien der Insel die Unabhängigkeit und die Häuptlinge übernehmen die Phosphatminen, die jährlich zwei Millionen Tonnen Möwendreck exportieren; in anderen Worten: hundert Millionen Dollar im Jahr, ein Pro-Kopf-Einkommen von über zwanzigtausend, vergleichbar mit einem kleinen Ölstaat. Es gibt folglich Autos, Stereoanlagen und Hamburger für alle - aber auch eine Diabetesrate von dreißig Prozent. Stellen Sie sich das vor: Ein Drittel der Bevölkerung zuckerkrank, die höchste Rate der Welt, und keine erkennbaren Erbfaktoren. Offenbar war es der Fraß, den die Leute zu sich nahmen. Dafür sprach auch die Häufung von hohem Blutdruck und Herzerkrankungen. Nehmen Sie dann noch Alkoholismus und Autounfälle hinzu und Sie kommen auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von fünfzig Jahren.
Die Phosphatvorkommen sind nun zu neunzig Prozent ausgebeutet. In ein paar Jahren werden von der Insel nur noch Insulinspritzen und leere Bierdosen übrig sein. So viel zu dem Segen einer florierenden Wirtschaft.«
»Meinst du, es ist besser, die Leute verhungern zu lassen, Nick?«
»Nein, Bill, aber die Welt hat sich geändert. Nicht jeder glaubt mehr, wir sollten uns überall als Kindermädchen aufspielen.«
»Aber wir reden von Menschen, von Existenzen -«
»Na, kommen Sie«, unterbrach ihn Creedman, »Sie hören sich an, als wäre vor der Ankunft der Europäer alles wunderbar gewesen und die Kolonialmächte hätten alles kaputtgemacht, aber wenn Sie nachforschen, erkennen Sie, dass es hier auch davor viele Krankheiten gegeben hat und dass diejenigen, die nicht daran zugrunde gingen, wahrscheinlich verhungert sind.«
Ich dachte, Moreland würde darauf anspringen, doch er starrte immer noch Hoffman an.
»Krankheiten«, sagte er schließlich, als würde ihn das Wort amüsieren. »Ja, es gab Parasitenprobleme, aber nicht so ein Elend, wie es die Weißen gebracht haben.«
»Jetzt bleiben Sie doch auf dem Teppich, Bill«, reizte ihn Creedman weiter. »Wir reden von primitiven Stämmen. Heidnische Rituale, keine Kanalisation ...«
»Was wissen Sie schon von Kanalisation?«, erwiderte Moreland kalt.
»Meine Recherchen -«
»Haben Sie bei Ihren Recherchen auch gelernt, dass diese ›primitiven‹ Rituale gerade der Gesundheit dienten? Zum Beispiel, dass Stuhlgang nur am Morgen stattfinden durfte und dass man ins Meer waten musste, um sich zu erleichtern?«
»Finden Sie das etwa hygienisch?«
Moreland hob die Hände. »Aber es funktionierte! Es war alles in Ordnung, bis die zivilisierten Eroberer kamen und ihnen sagten, sie müssten Löcher in die Erde graben. Wissen Sie, was damit begann, Tom? Ein Zeitalter des Schmutzes: Cholera, Typhus, Salmonellen, Keuchhusten. Haben Sie schon einmal jemanden gesehen, der Cholera hat, Creedman?«
»Ich -«
»Haben Sie je ein Kind in Ihren Armen gehalten, während es an explosionsartigem Durchfall verreckt?«
Die knorrigen Hände sanken auf den Tisch zurück.
Creedman war leichenblass. »Ich sehe ein, Sie verstehen mehr von Durchfall als ich.«
Die Tür öffnete sich und es strömten Küchengerüche herein. Zondervein kam mit drei Matrosen und weiterem Essen.
»Na dann, guten Appetit«, sagte Hoffman und seufzte.
18
Außer Hoffman aß niemand viel. Nach seinem zweiten Dessert stand er auf und riss sich die Serviette aus dem Kragen.
»Also, Bill, wollen wir uns
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