Satans Erbe (German Edition)
tastenden Fingern bewegte sich ein Stein.
Herbert fuhr ein Schauder über den Körper. Was war das?
Probeweise wackelte er an dem Quader wie an einem lockeren Zahn. Es ging von Mal zu Mal leichter, bis er sich komplett aus dem Mauerwerk ziehen ließ.
Eine dunkle Höhle klaffte ihm entgegen. Die Sonne war fast untergegangen, die Kapelle von innen nur noch im diffusen Licht der hereinbrechenden Nacht erleuchtet. Langsam tasteten sich seine Finger in das Loch. Er schob die Hand weiter hinein und fuhr an einer Seite hoch, den oberen Rand entlang, an der anderen Seite wieder hinunter, bis er auf dem Boden der Öffnung ankam, die ein Stück weiter nach unten reichte als die Fläche, die der Stein ausgefüllt hatte.
Seine Finger ertasteten etwas und er zog es vorsichtig heraus. Es war eine Papierrolle, die uralt wirkte. Langsam ließ er seine Jacke von den Schultern gleiten, bis ihm bewusst wurde, was er vorhatte. Schuldbewusst drehte sich Herbert in der Kapelle um. Er war allein. In plötzlicher Eile stopfte er den Stein zurück in seine ursprüngliche Position.
Das Dokument verbarg er unter der Jacke.
Erst in seinem gemieteten Zimmer wollte er schauen, was für ein Pergament ihm da in die Hände gefallen war. Fast wäre er umgekehrt und hätte es an seinen Platz zurückgelegt, denn er war noch nie in seinem Leben unehrlich gewesen, nie hatte er gestohlen, aber irgendetwas hielt ihn von diesem Vorhaben ab.
52.
Villa Felthen
Interlaken, Schweiz
1981 n. Chr.
A rno stürzte wutentbrannt in ihr Zimmer. »Musst du ständig den verdammten Bass so laut aufdrehen, dass unten die Lampen wackeln?« Er riss das Kabel so heftig aus der Wand, dass gleich die Steckdose daran hängen blieb und ein Loch im Putz hinterließ. Abrupt wurde es still.
Lisa zuckte die Schultern und drehte sich um. »Hau doch ab zu deinem Sport, dann brauchst du es nicht zu hören.« Sie wusste, das war frech, aber es war ihr egal.
Lisa lag auf ihrem Sofa, das die Mitte des Raumes einnahm und mit der Lehne zur Tür zeigte. Geschickt verbarg sie das Büchlein, das sie vor sich liegen hatte, unter einem Kissen und richtete sich auf.
»Wozu hast du mir die Anlage geschenkt, wenn ich sie nicht benutzen darf? Nimm sie mir doch gleich wieder weg …« Sie hob herausfordernd die Nase und blickte ihren Vater an. Obwohl er sie weit überragte, kam sie sich vor, als ob sie ihn von oben herab ansähe, und fühlte sich gut dabei. Arno drehte sich um und raste aus dem Zimmer, so schnell, wie er gekommen war. Mit einem Rums krachte die Tür ins Schloss.
Sie grinste und konzentrierte sich wieder auf das Büchlein, fuhr spielerisch über das winzige Schloss. Mittlerweile wusste sie natürlich, dass es ein Tagebuch war und schon seit einigen Wochen fragte sie sich, ob sie es einfach öffnen durfte. Jahrelang hatte sie ihren Schatz gehütet und völlig vergessen.
Als sie Anfang dieses Jahres ihre Spielsachen aussortiert hatte, von denen sie der Meinung war, dass sie zu alt dafür war, fiel ihr das Tagebuch ihrer Mutter in die Hände. Lisa erinnerte sich genau an den Tag, als sie es im zerstörten Schlafzimmer ihrer Eltern gefunden hatte. Der Tag, an dem Lena gestorben war.
Lena, wie geht es dir da oben?
Die Schere lag auf dem Tisch bereit. Lisa schob die Spitze vorsichtig in die Öffnung des Schlösschens. Sie stocherte eine Weile darin herum, bis es mit einem kaum hörbaren Klicken aufsprang.
Zaghaft hob sie den Buchdeckel an. Eine leere weiße Seite prangte ihr entgegen. Auf dem Deckelinneren stand in einer Handschrift, die der ihren sehr ähnelte, der Name ›Petra Singer‹ und darunter: ›Geschenk von Oma Sonnenschein zum Geburtstag am 27. September 1961‹.
Wer war Oma Sonnenschein? Doch nicht ihre Oma Lotte? Nein, das war ja die Mutter ihrer Mutter. Also musste Oma Sonnenschein ihre Uroma sein.
Lisa notierte sich in Gedanken, Benni danach zu fragen. Nach dem Tod von Oma Lotte und Opa Abraham hatte sie niemanden mehr aus Mummys Familie. Oma Lotte war sogar ein Jahr früher gestorben, obwohl Opa Abraham viel kränker war als sie. Lisa versuchte, die Gedanken an Tod und Sterben abzuschütteln.
Benommen ließ sie den Kopf hängen und ihr Haar fiel wie ein Schleier vor ihr Gesicht und bedeckte es. Nach einer Weile warf sie es mit Schwung nach hinten und fasste sich ein Herz. Ihre zittrigen Finger blätterten eine Seite weiter und sie fing an zu lesen.
Das Tagebuch begann, als ihre Mutter vierzehn Jahre alt war. Nur drei Jahre älter als sie.
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