Satori - Winslow, D: Satori - Satori
Ausgang nichts ändern.
Fast konnte er Otake-samas sanften Ratschlag hören. Wenn die Stellung nicht mehr zu halten ist, Nikko, worauf spielst du dann?
Auf Zeit, Otake-sama.
Setze auf ein langes Spiel.
»Aber es wäre ein schlechtes Geschäft«, erwiderte Ni kolai.
»Wieso?«
»Fünfzig Bazookas machen die Binh Xuyen sehr mächtig«, sagte Nikolai. »Wie wäre es aber mit einhundert? Oder zweihundert?«
Spöttisch erkundigte sich Bay Vien: »So viele können Sie auftreiben?«
»Nicht, wenn ich tot bin«, pflichtete Nikolai ihm bei.
Er konnte Bay Vien förmlich beim Denken zusehen. Die Binh Xuyen würden irgendwann gegen ausländische Milizen, andere Banden und vielleicht auch gegen die Viet Minh vorgehen müssen. Unter Umständen sogar gegen ihren aktuellen Verbündeten Bao Dai und seine offiziellen vietnamesischen Soldaten. Die Waffen würden den Ausgang der Auseinandersetzungen entscheiden, die es irgendwann in den Straßen von Saigon auszufechten galt.
Und je nachdem, wie das Ergebnis von Bay Viens Überlegungen aussah, dachte Nikolai, würde er selbst überleben oder sterben.
100
Ellis Haverford hatte Saigon immer gemocht.
Als Angestellter des United States Information Service getarnt, hatte er die Stadt im Laufe der Jahre immer wieder besucht und empfand sie nun als seine zweite Heimat. In seinen Augen bot sie die ideale Mischung aus Paris und Asien – das Essen, die Architektur, der Wein, die Mode, die Frauen – und das alles ohne graue Winter und die existenzielle Angst, die mit ihnen einhergeht und die Stadt an der Seine so häufig heimsucht. Saigon war eine elegante und tolerante Metropole – die Casinos wurden gut und ehrlich geführt, und in den Bordellen herrschte eine fröhliche, gastfreundliche Atmosphäre. Außerdem waren sie berühmt für ihre atemberaubende Bandbreite an unterschiedlichen Kurtisanen.
Haverford mochte auch die Bars der Stadt. In Saigon konnte man sich ausgezeichnet betrinken und betrunkene Gespräche führen. Durch den Krieg kamen immer mehr Reporter aus aller Welt hierher, die stets für einen lustigen Abend und ein paar Insiderinformationen zu haben waren und niemals Nein sagten, wenn es um nächtliche Kartenspiele oder frühmorgendliche Bloody Marys ging.
Außerdem mochte Haverford die Vietnamesen. Er mochte ihr freundliches Benehmen, hatte großen Respekt vor ihrem langen Kampf um Unabhängigkeit, bewunderte, wie sie das Beste der westlichen Kultur übernommen und sich dem Schlimmsten angepasst hatten.
Trotzdem hoffte er, so wenig Zeit wie möglich dort verbringen zu müssen, betete, dass die »kalten Krieger« zu Hause in Washington nicht in die Fußstapfen der Franzosen treten würden. Er hatte bereits in Vietnam gekämpft und wollte nie wieder dort kämpfen müssen.
Jetzt wartete er auf Nikolai Hel und hoffte, er würde noch vor dem Frühjahrsregen eintreffen.
101
Nikolai ließ sich mit einer Rikscha zum Fluss bringen, stieg einen knappen Kilometer vor der Anlegestelle der Flöße aus und ging den Rest des Weges zu Fuß.
Tasser strahlte ihn mit einer grellen Lampe an.
»Bist du’s, Mike?«
»Und was, wenn ich’s nicht wäre?« Nikolai kletterte aufs Floß. »Jeden Augenblick kommt ein Laster. Wir laden die Ware um.«
»Keine Minute zu früh, wenn du mich fragst«, sagte Tasser. »Diese verfluchten Hmong sind mir nicht geheuer.«
»Was wirst du jetzt machen?«
»Ich geh zurück in die Berge«, antwortete Tasser. »Mal sehen, ob ich da noch mehr verrückte Briten, Yanks oder Froschfresser treffe, die den Gipfel der Welt erklimmen wollen. Kannst auf den Fotos nach mir Ausschau halten – ich bin der Typ, der keinen Namen hat.«
Ein paar Scheinwerfer näherten sich von der Straße, und Tassers Männer luden die Fracht ans Ufer. Nikolai schüttelte ihm die Hand.
»Danke für alles. War mir ein echtes Vergnügen.«
»Ganz meinerseits.«
Tasser trommelte seine Mannschaft zusammen, und gemeinsam verschwanden sie in der Dunkelheit. Nikolai ging zu dem Laster.
Auf dem Beifahrersitz saß Bay Vien.
102
Der Laster verließ die Stadt früh am nächsten Morgen. Nikolai saß vorne neben Bay Vien.
»Wohin fahren wir?«, fragte er.
Bay zeigte gen Osten, auf die andere Seite des Flusses in Richtung der Berge.
»Warum?«
»Sie stellen zu viele Fragen«, erwiderte Bay und zog an seiner Zigarette. Er war nervös, die frühe Stunde und das Holpern des Lasters nicht gewohnt. Außerdem war der Anführer der Binh Xuyen absolut nicht davon begeistert, dass
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