Satori - Winslow, D: Satori - Satori
Nerven prickelten vor Anspannung, weil es sich ohne weiteres um eine Falle handeln könnte. Andererseits war es auch nicht viel anders, als sich durch die enge Kammer einer Höhle vorarbeiten zu müssen, und so beruhigte er seinen Geist und überließ es seinen Sinnen, ihn vor Gefahren zu warnen.
Die Gasse führte auf eine schmale ungeteerte Straße. Als er dem Mann in ein baufälliges Gebäude folgte, bemerkte Nikolai den unverkennbaren Geruch von Opium. Drinnen war es dunkel, der Hauptraum nur von der Glut der Pfeifen erleuchtet. Die Raucher, die sich in Opiumträumen verloren hatten und an den Wänden saßen oder lagen, sahen nicht einmal auf, doch Nikolais Proximitätssinn warnte ihn.
Der dritte Opiumraucher an der Wand in dem fleckigen schwarzen Hemd war hier, um ihn, falls nötig, zu töten. Nikolai umfasste den kleinen Brieföffner aus Elfenbein mit dem geschnitzten Elefantengriff, den er auf dem Nachtmarkt gekauft hatte.
»Wangbadan« , sagte Nikolai auf Kantonesisch.
Hurensohn.
Wiedererkennen blitzte in den Augen des vermeintlichen Viet Minh auf, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte und auf Französisch fragte: »Was?«
Die Elfenbeinklinge schnellte aus Nikolais Ärmel, und er presste sie dem angeblichen Viet-Minh-Agenten an die Kehle. Auf Kantonesisch sagte er: »Wenn sich der Mann dort bewegt, töte ich Sie.«
Der Agent verstand. Er sah den »Opiumraucher« an und schüttelte langsam den Kopf. Dann sagte er zu Nikolai: »Ich habe gar nicht gesehen, dass Sie das gekauft haben.«
»Stimmt«, sagte Nikolai. »Wo ist der Mann, den ich treffen soll?«
»Ich bin der Mann …«
Nikolai drückte ihm die Klinge fester an die Halsschlagader. »Ich frage kein zweites Mal.«
»Tot.«
Nikolai spürte die Pistole eher, als dass er sie unter dem schwarzen Hemd des »Opiumrauchers« hervorkommen sah und schleuderte den Brieföffner in dessen Richtung. Die Klinge bohrte sich in die Kehle des verhinderten Schützen, und er sackte zusammen.
Der andere Binh Xuyen nutzte die Chance und versuchte, Nikolai ein Knie in den Solarplexus zu rammen. Der wirbelte jedoch herum, um den Tritt abzuwehren, verschränkte die Hände, packte den Kopf des Mannes und riss ihn blitzschnell einmal hin und her. Das Genick brach und der Mann hing leblos in seinen Händen.
Nikolai ließ ihn fallen, gerade als drei Männer mit Maschinenpistolen durch die Hintertür hereinstürmten.
»Ich bin beeindruckt, Monsieur Guibert.«
Der Anführer der Binh-Xuyen-Bande war körperlich eher unscheinbar.
Klein und schmal, mit beginnender Stirnglatze, aber pechschwarzem Haar. Sein linkes Auge schielte in einem seltsa men Winkel von fünfundvierzig Grad in die falsche Richtung, und es sah aus, als wäre der Knochen drumherum einmal zertrümmert gewesen. Er trug ein schlichtes khakifarbenes Leinenhemd, eine leichte khakifarbene Hose und dazu weiße Socken in Sandalen.
Jetzt musterte er Nikolai einen Augenblick lang und fragte: »Möchten Sie lieber Französisch oder Chinesisch sprechen?«
»Wie Sie wünschen«, sagte Nikolai auf Französisch.
»Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte der Mann auf Kantonesisch.
»Ich denke«, erwiderte Nikolai, »Sie gehören zu den Binh Xuyen.«
»Ich gehöre nicht zu den Binh Xuyen«, sagte der kleine Mann. »Ich bin die Binh Xuyen.«
»Bay Vien.«
Bay nickte. »Sie sollten sich durch mein persönliches Erscheinen geschmeichelt fühlen. Normalerweise delegiere ich solche Termine, aber ich hatte ohnehin geschäftlich in der Stadt zu tun, also … Sieht aus, als hätten Sie zwei meiner Männer getötet, Monsieur Guibert.«
Nikolai wusste, dass dies nicht die Zeit für einen Rückzieher war. Jeder dahingehende Versuch hätte seinen sicheren Tod bedeutet. »Im Allgemeinen töte ich Menschen, die versuchen, mich zu töten.«
»Dann haben meine Mitarbeiter offensichtlich ihre Anweisungen nicht befolgt«, sagte Bay. »Ich hatte gehofft, diese Angelegenheit gewaltfrei über die Bühne zu bringen. Sie hätten einfach Ihre Ware an Leute verkauft, die Sie für Viet Minh hielten, Ihr Geld bekommen und wären weitergezogen. Aber jetzt …«
Bay schüttelte den Kopf, womit er Bedauern vortäuschen wollte. »Bitte verstehen Sie, dass es mir ausschließlich ums Geschäft geht.«
Nikolai wusste, dass die Steine auf dem go-kang nach dieser Begegnung neu angeordnet waren. Sein Versprechen gegenüber Oberst Yu, den Viet Minh die Waffen zu liefern, schien jetzt unmöglich durchführbar und sein eigener Tod würde an diesem
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