Satori - Winslow, D: Satori - Satori
ihn an. »Sie haben sie hergebracht, weil Sie wussten, dass ich kommen würde.«
»Sie haben das ganz falsch verstanden, Nikolai.«
»Ja, und die Sache in Peking habe ich auch ganz falsch verstanden, nicht wahr?«
Er sah ein cyclo-pousse die Straße herunterkommen, winkte es heran und schob Haverford an den Bordstein. »Steigen Sie ein.«
»Ich will nicht …«
»Steigen Sie ein.«
Haverford stieg ein.
Als er sich umdrehte, war Hel verschwunden.
111
Y u erhielt Nachricht aus Saigon.
Hel hatte Kontakt aufgenommen.
Du bist ein interessanter Mann, Nikolai Hel, dachte er.
112
H averford saß in dem cyclo-pousse und dachte über Nikolai Hel nach.
War er wegen Solange nach Saigon gekommen?
Oder aus anderen Gründen?
Und wenn ja, welchen?
Und Solange, wie – und warum – war sie nach Saigon gekommen und was machte sie hier? Er erinnerte sich an Singletons Anweisungen zu Hause in Washington. Sie sind beide aufgeweckte junge Männer. Lassen Sie sich was einfallen.
Na ja, sieht so aus, als hätten wir das geschafft.
113
Nikolai fühlte sich in Cholon sehr wohl.
Das chinesische Viertel der Stadt erinnerte ihn an das feuchtere, ärmere Schanghai früherer Tage. Die kleinen Stände und winzigen Geschäfte waren dieselben, auch die Neonreklame, der Geruch des über Kohle gegarten Essens, der Weihrauchduft, der aus den Tempeln wehte, das Geschrei, das Gelächter, die Menschenansammlungen – das alles erinnerte ihn daran, dass die Chinesen große Wanderer waren, Pilger, die ihre Kultur mit sich nahmen und in neuen Städten die alten, die sie verlassen hatten, nachbildeten.
Er ging die Lao Tu, die Hauptstraße des Viertels, entlang und fühlte sich ganz und gar zu Hause. Cholon stand in dem Ruf, nachts gefährlich zu sein, besonders für einen kweilo , aber Nikolai hatte sich in den schlimmsten Slums von Schanghai nie bedroht gefühlt und auch hier nicht das Gefühl, in Gefahr zu sein, nicht einmal, als er von der breiten Straße abbog und durch die engen Gassen des Viertels in eine Gegend mit vierstöckigen Wohnhäusern ging.
Auch hier sahen alle Häuser gleich aus – rechteckige Holzgebäude mit winzigen Balkonen, an denen Wäsche hing. Männer in ärmellosen T-Shirts lehnten an den Geländern und rauchten Zigaretten, während die Frauen ihnen von drinnen in dem Versuch, ihre Ehemänner wenigstens in Form eines Gesprächs in die Abläufe des Haushalts einbeziehen zu können, Fragen zubrüllten.
Auf den Straßen versammelten sich junge Gauner in grellbunten Hemden und engen Hosen, standen an den Ecken, hielten Ausschau nach günstigen Gelegenheiten, ignorierten aber den großen colon , der aussah, als wüsste er, wohin er ging und was er vorhatte. Sie ließen ihn in Ruhe.
Nikolai fand die Adresse, die er suchte.
In der winzigen Lobby stank es nach abgestandenem Opiumrauch.
Über eine knarzende schiefe Treppe gelangte er in den zweiten Stock. Der Flur war schmal und ebenfalls geneigt, als wäre er müde und wollte sich hinlegen. Eine Tür öffnete sich, und eine Frau in dem engen roten Seidenkleid einer Prostituierten blickte ihn einen Moment lang an und ging dann weiter.
Nikolai klopfte an die Tür von Zimmer 211.
Niemand antwortete. Er klopfte noch zweimal, dann öffnete er die unverschlossene Tür.
Leotow saß in einem Rattansessel an dem kleinen Fenster und döste. Im Zimmer war es drückend heiß und eng, und Leotows blanke Brust glänzte vor Schweiß. Er trug eine Khakihose und Sandalen, sein Gesicht war fahl und er hatte sich seit mehreren Tagen nicht mehr rasiert.
Die Opiumpfeife lag auf seinem Schoß.
Er schlug die Augen auf und sah Nikolai. Seine Augen waren gelb und tränten, trotzdem hatte er sie in dem traumartigen Zustand des Opiumsüchtigen weit aufgerissen.
»Wo zum Teufel haben Sie gesteckt?«, murmelte er auf Russisch. »Ich dachte, Sie wären tot.«
»Es gab Momente, da war ich derselben Meinung.«
»Ich bin schon seit Wochen hier«, sagte Leotow verbittert und war ganz offensichtlich der Ansicht, Nikolais Unzuverlässigkeit sei schuld an seiner Opiumsucht.
»Ich wurde aufgehalten«, erwiderte Nikolai. »Ich hatte nicht damit gerechnet, so schwer verletzt zu werden. Dadurch habe ich Wochen verloren. Trotzdem, ich entschuldige mich – es ist sehr freundlich von Ihnen, dass Sie gewartet haben.«
Leotow zog sich langsam aus dem Stuhl hoch und schlurfte im Zimmer umher, als suche er etwas, könne sich aber nicht erinnern, was oder wo es sein könnte. »Sie haben keine
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