Satori - Winslow, D: Satori - Satori
versiegelte ihn und packte ihn in einen größeren, gefütterten Umschlag, den er Nikolai übergab. Nikolai verstaute ihn in der Tasche seines Jacketts und ging. An einem Zeitungskiosk machte er halt, kaufte die aktuelle Ausgabe des Journal d’Extrême-Orient und ein Päckchen Cigarettes Nationales, ging weiter die Straße hinunter, setzte sich in einem Café namens La Pagode an einen freien Tisch und bestellte ein Bier.
Er schlug die Zeitung auf und las, bis das Bier – wunderbar kalt – gebracht wurde. Dann nahm er den Umschlag, öffnete ihn, wobei er seine Hände mit der Zeitung vor fremden Blicken abschirmte, und las, was in der Lasche des größeren Umschlags geschrieben stand:
Morgen Nachmittag, ein Uhr. Gehen Sie zu Sarreaus Apotheke. Kaufen
Sie zwei Päckchen Enterovioform, dann gehen Sie zum Neptuna-Bad
und warten dort.
Elegante, in Seide gewandete Vietnamesinnen schlenderten langsam vorbei. Sie waren schüchtern, sich ihrer Wirkung aber vollkommen bewusst. Dann gab es noch die métis – Frauen gemischter asiatischer und europäischer Abstammung – sie waren wunderschön mit ihrem goldenen Teint und den Mandelaugen, deren Funkeln zu sagen schien, dass eine Begegnung zwischen Ost und West definitiv möglich ist und man ganz bestimmt das Beste aus beiden Welten haben kann. Und gelegentlich kam auch eine colon mit blondem Haar, wie das von Solange, vorbei.
Nikolai empfand mit der körperlichen Erregung gleichzeitig einen Anflug von schlechtem Gewissen.
Wenn der Anbruch der Nacht eine gewisse sexuelle Spannung versprach, so barg er auch Gefahren. Vietnamesische Polizei und französische Armee patrouillierten durch die Straßen und erinnerten daran, dass sich diese schöne Stadt mitten in einem Krieg befand. Die Restaurants auf dem Boulevard waren mit Granatenabwehrgittern gesichert und die Augen der Polizisten verrieten nicht die gewöhnliche Langeweile einer Streife, sondern besondere Wachsamkeit gegenüber ernsthafter Bedrohung. Die Binh Xuyen fuhren in grünen Jeeps die Straßen ab, manche hatten Maschinengewehre auf der Ladefläche befestigt.
Nikolai trank sein Bier aus, ließ ein paar Piaster liegen und machte sich auf den Weg.
107
M aurice de Lhandes traf den Chef der SDECE von Saigon in seinem Büro.
Service de Documentation Extérieure et de Contre-Espionage. Einen solchen Titel konnten sich nur französische Bürokraten ausdenken, dachte De Lhandes.
Sans prélude nahm er die Flasche Cassis vom Schreibtisch, schenkte sich ein Glas ein und ließ sich mit seiner winzigen Statur auf einem Sessel nieder. Über dem Schreibtisch hing eine Qualmwolke und Oberst Raynals Aschenbecher quoll bereits über.
Raynal war ein dicker Mann mit dunklen Ringen unter den Augen. De Lhandes glaubte, es kam wohl daher, dass er unzählige Stunden am Schreibtisch verbrachte, Zigaretten rauchte und schlecht aß, während er die Berichte las, die täglich hereinkamen und sich vor ihm stapelten. Wenn man die Aufgabe hatte, den Überblick über sämtliche Spionageaktivitäten in Saigon zu behalten, hatte man viel zu tun.
»Es gibt einen neuen Spieler in der Stadt«, sagte De Lhandes. Die Korsen hatten ihn gebeten, so viel wie möglich über diesen Guibert herauszufinden, außerdem verdiente De Lhandes sein Geld mit dem An- und Verkauf von Informationen. Wenn er beides gleichzeitig hinbekam, umso besser.
Raynal seufzte. In der Stadt gab es schon zu viele alte Spieler, ein neuer war das Letzte, was er gebrauchen konnte. »Und wer soll das sein?«
»Ein gewisser ›Michel Guibert‹«, sagte De Lhandes. »Er ist im Continental abgestiegen.«
Raynal biss nicht an. »Wahrscheinlich nur ein Geschäftsmann.«
»Wahrscheinlich«, stimmte De Lhandes zu, schenkte sich ein weiteres Glas ein und bediente sich an Raynals Zigaretten. »Aber am Nachmittag hat er mit den Korsen Pastis getrunken.«
Raynal seufzte erneut. Als waschechter Pariser hielt er es für seine Bürgerpflicht, die Korsen zu verachten, und er ärgerte sich darüber, dass sein Beruf ihn zwang, sie hier in Saigon zumindest zu tolerieren, wenn nicht gar aktiv mit ihnen zu kooperieren.
»Was wollen die von diesem … Guibert, heißt er so?«
»So heißt er«, sagte De Lhandes. »Und wer weiß das schon?«
Wer weiß überhaupt, dachte De Lhandes, was die Union Corse will? Die haben ihre schmierigen Finger überall drin. Er sank tiefer in den Sessel und betrachtete die langsamen Rotorbewegungen des Deckenventilators.
Raynal mochte den belgischen
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