Satori - Winslow, D: Satori - Satori
runtergeht?«
Er merkte, dass Signavi ins Schwanken geriet und drängte weiter: »Wir wissen, dass die Frau auf dem Weg zu Guibert ist. Schicken Sie ein Team los und bringen Sie’s hinter sich.«
Signavi nickte.
154
John Singleton betrachtete das Go-Brett.
Er hatte das Spiel während seiner Zeit in China schätzen gelernt, konnte in Washington aber niemanden finden, der ihm ein anständiger Gegner gewesen wäre, und so zog er es vor, alleine gegen sich selbst zu spielen.
Es war ein ausgezeichnetes mentales Training und zwang ihn, bestimmte Situationen aus allen möglichen Blickwinkeln zu betrachten.
Jetzt blickte er auf das go-kang und dachte über das ganze Nikolai-Hel-Szenario nach. Er überdachte sämtliche Aspekte, berücksichtigte Hels Herkunft, den Umstand, dass er nicht nur Woroschenin, sondern auch Kang Sheng getötet hatte, den Waffenhandel mit Peng, Haverfords Pekinger Spio nagenetz, Hels Flucht aus China nach Laos und seine Verbindungen zu den Binh Xuyen.
Er wechselte die Perspektive, um sich die Situation in Vietnam zu vergegenwärtigen – die intensiven Aktivitäten der Viet Minh im Norden, die relative Ruhe im Süden, vor allem seit der letzten gescheiterten Offensive der Kommunisten, die Tatsache, dass der sehr gefährliche Ai Quoc sich irgendwo versteckte, dass Hel die Waffen an Bay Vien und nicht an Ai Quoc geliefert hatte, dass Haverford während des Kriegs in Vietnam stationiert gewesen war …
Dann war da noch Diamond und die vermeintlich geheime Operation X, seine Verbindung zum korsischen Heroinhandel und sein tief sitzender Hass auf Nikolai Hel – oder war es Angst?
Beide Agenten befanden sich jetzt in Saigon, und es würde faszinierend sein zu beobachten, wer von ihnen siegreich aus der Sache hervorging. Es amüsierte ihn, dass jeder Spieler dachte, er wäre für seine eigenen Züge verantwortlich, ohne die Hand wahrzunehmen, die ihn seinem Schicksal entgegentrieb.
Dieser Hel dagegen …
Er schien sich tatsächlich unabhängig zu bewegen.
155
Nikolai hörte ihre Schritte auf der schmalen Treppe.
»Solange?«
»Nikolai.«
Ihr Parfüm war betörend.
Nikolai rollte vom Bett und kam auf sie zu.
»Gott sei Dank«, sagte sie. »Ich hatte solche Angst …«
Solange presste sich fest an seine Brust. Er schlang die Arme um sie, griff nach dem Messer auf ihrem Rücken und flüsterte: »Per tu amicu.«
Sie erstarrte kaum merklich, und da wusste er es.
Und spürte, wie es ihm das Herz brach.
»Du bist es«, flüsterte er in ihr Haar. »Du bist die Kobra.«
Er ließ sie los und wich einen Schritt zurück. Das Licht in der Kabine war gedämpft, aber in ihren Augen konnte er sehen, dass es stimmte. Während er im Bett gelegen und auf sie gewartet hatte, war ihm alles klargeworden, auch dass er es schon früher hätte wissen müssen.
Die Kobra führt eine todbringende Klinge.
La Corse hatte sie damals schon in Montpellier für den Mord an dem deutschen Oberst rekrutiert. Man hatte ihr beigebracht, wie man ein Messer benutzt, und sie hatte ihm die Kehle aufgeschlitzt. Dann hatte man sie ins Hauptquartier nach Marseille gebracht und ihr weitere Aufträge gegeben.
Sie war stets mit La Corse in Verbindung geblieben, hatte sich aber selbstständig gemacht, ihren Körper ebenso wie ihre anderen Fähigkeiten verkauft. In jener Nacht in Tokio, nach dem Attentat im Garten, war sie mit einem Messer in der Hand und Mordlust in den Augen herausgerannt.
Wolltest du das benutzen?
Wenn es nötig gewesen wäre.
Und du hättest auch gewusst wie, nicht wahr?, dachte er.
Sie hätte ihn bei ihrem romantischen Stelldichein im Hotel töten können, doch sie wusste, dass sie unter Beobachtung stand und verdächtigt worden wäre. Am nächsten Tag hatte De Lhandes ihr dann vom House of Mirrors erzählt, und sie war gekommen, als Kobra, um ihn zu töten. Sein Proximitätssinn hatte ihm gesagt, dass es jemand sein musste, dem er schon einmal begegnet war, aber erst jetzt begriff er es vollkommen.
Das Leben sehen, wie es wirklich ist.
Satori.
»Picard, ist das richtig?«, fragte er. »Oder vielmehr Picardi?«
»Picardi«, sagte sie.
Die Korsen sind die besten Killer.
»Die Geschichte, die du mir erzählt hast«, fragte Nikolai, »wie viel davon ist wahr?«
»Das meiste«, erwiderte sie. »Das Schmerzhafte daran, falls dich das tröstet.«
Das tat es nicht.
»Wie viele Männer hast du getötet?«, fragte Nikolai.
»Vielleicht mehr als du«, sagte sie. Sie zog das Messer hinter ihrem Rücken
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