Satori - Winslow, D: Satori - Satori
zahlreichen Unzulänglichkeiten zumindest sehr direkt und würde sich nicht mit Nachdenken verzetteln.
Und dann war da noch der »Kreis«, Haverford, übertrieben umsichtig. Singleton fiel das alte Sprichwort ein: »Ein Liberaler ist ein Mann, der bei einer Auseinandersetzung nicht einmal für sich selbst Partei ergreift«, und damit war Ellis Haverford hinlänglich beschrieben. Würde er den Mut aufbringen, sich für eine Vorgehensweise zu entscheiden und diese auch durchzuziehen?
Wir werden sehen, dachte Singleton und drehte das go-kang um.
Das ist das Wunderbare daran, wenn man gegen sich selbst spielt.
Man kann nicht verlieren.
14
D iamond rammte die Faust gegen die Wand.
Es tat weh.
Als er seine aufgeschürften Fingerknöchel betrachtete, fluchte er noch einmal. Zwei gegen einen, ein Überraschungsangriff, und die verfluchten Chinesen vermasseln es. Immerhin hatten sie den Anstand besessen, sich abmurksen zu lassen.
Angst schoss ihm in die Magengrube.
Hel ist nicht zu unterschätzen. Du wirst dir was Besseres einfallen lassen müssen.
15
S olange trat durch die Tür.
Nikolai stand auf und half ihr, die Einkäufe einzuräumen. Haverford betrachtete die kleine häusliche Szene, und sie beunruhigte ihn. Wegen des Anschlags in der letzten Nacht war Hels geplante Abreise vorverlegt worden. Er beherrschte den französischen Dialekt, hatte alles, was sie ihm vorgelegt hatten, in erstaunlich kurzer Zeit aufgenommen und seine Fitness wiedererlangt. Es war Zeit für den nächsten Schritt, und er wollte nicht, dass sein Agent plötzlich keine Lust mehr hatte, weil er verliebt war. Wobei, das musste er eingestehen, welcher Mann würde sich nicht in Solange verlieben?
»Störe ich?«, fragte sie.
»Nein«, entgegnete Nikolai rasch. »Haverford hat nur ein paar Unterlagen vorbeigebracht, die ich lesen soll.«
Er legte besondere Betonung auf »lesen«, um dem Amerikaner zu signalisieren, dass er nicht weiter »unterrichtet« werden wollte, sondern in der Lage war, die Unterlagen selbst zu studieren.
Haverford lächelte. Es gab immer Machtkämpfe zwischen einem Agenten und seinem Betreuer; man musste damit rechnen, und teilweise waren sie sogar gewollt. Er freute sich über Hels Ansätze von Eigensinn – Selbstvertrauen war gut für einen Agenten. Bis zu einem gewissen Grad. Ein kluger Betreuer wusste, wann er verhandeln, wann sich durchsetzen oder nachgeben musste.
»Ich wollte gerade gehen«, sagte Haverford und stand vom Tisch auf. »Die Croissants waren wie immer très délicieux .«
»Merci.«
Nachdem Haverford gegangen war, wandte sich Solange an Nikolai und fragte: »Stört es dich?«
»Was?«
»Dass ich eine Prostituierte war.«
Die Frage überraschte ihn. »In Japan ist das ein ehrenwerter Beruf.«
»In Frankreich nicht.«
»Ich bin kein Franzose«, sagte Nikolai. »An dir gibt es nichts, das ich nicht entzückend, wunderbar und ehrenwert finde.«
Solange floh in seine Arme, küsste ihn sanft auf den Hals und sagte leise: »Ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben.«
»Und ich mich in dich.« Seine Worte überraschten ihn ebenso sehr wie das Gefühl an sich, das er seit Jahren nicht mehr verspürt hatte und das er sich vorgenommen hatte, nie wieder zu empfinden. Nach seiner Erfahrung ging jeder, den er liebte, irgendwann fort, meist durch die Pforte des Todes.
»Je t’aime, je t’aime, je t’aime.«
»Je t’aime aussi« , sagte Nikolai.
»Aber was sollen wir tun?«
»Nichts.« Sie seufzte, ihr Atem war warm und feucht auf seiner Haut. »Wir können nichts tun, außer uns zu lieben, solange wir uns haben.«
Sie gingen ins Schlafzimmer und taten genau das.
Solange schlief noch, als Nikolai aufstand, in die Küche ging und eine Dose grünen Tee herausnahm, die er hinten im Schrank versteckt hatte. Es gibt keinen Grund, dachte er, als das Wasser heiß wurde, weshalb Michel Guibert während seiner Zeit in Hongkong nicht eine Vorliebe für ausgezeichneten grünen Tee entwickelt haben sollte.
Als das Wasser kochte, goss er es in die Kanne, wartete eine Minute, trat nach draußen und goss es aus. Diesen Prozess wiederholte er, füllte anschließend erneut Wasser auf und ließ es ziehen. Dabei erinnerte er sich an das alte und weise Sprichwort: Beim ersten Mal ist es Wasser, beim zweiten Mal Plörre, beim dritten Mal Tee.
Nikolai wartete ungeduldig, schenkte sich dann Tee in eine kleine Tasse und schlürfte ihn. Ausgezeichnet, dachte er. Belebend, wie es Kaffee, egal wie
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