Satori - Winslow, D: Satori - Satori
gut, niemals sein konnte. Er nahm den Tee mit hinaus in den Garten, setzte sich auf eine der Steinbänke und lauschte dem Plätschern des Wassers.
Vergangene Nacht erst, dachte er, habe ich hier zwei Menschen getötet, und jetzt ist keine Spur mehr davon zu sehen, als wäre es nie passiert. Und in gewisser Weise ist das auch so, denn in buddhistischem Sinne ist das Leben nur ein Traum, ein Kreislauf der trügerischen Wahrnehmungen, die uns glauben machen, wir würden uns von anderen Wesen unterscheiden. Indem ich diese Männer getötet habe, bin ich selbst gestorben; indem ich überlebe, leben sie in mir weiter. Ich erfülle ihr Karma und sie meines. Mit Woroschenin wird es dasselbe sein.
Dass der Russe die Auswirkungen seines Karmas zu spüren bekam, war längst überfällig.
Seit dreißig Jahren.
Nikolai fragte sich, ob Woroschenin sich überhaupt noch an die Sache erinnern konnte, und wenn ja, ob es ihm leidtat. Wahrscheinlich nicht, dachte Nikolai.
Willst du überhaupt weitermachen?, überlegte er.
Nun gut, die Amerikaner bieten mir viel Geld, einen Reisepass und die Freiheit. Trotzdem ist die Versuchung groß, einfach nach nebenan zu gehen, Solange zu wecken, ein paar Sachen zu packen und irgendwohin zu fliehen, wo sie uns nicht finden können.
Aber wohin?, fragte er sich, wo sollte das sein?
Du hast keinen Pass, keine Papiere, kein Geld. Wohin und wie weit kannst du fliehen, wenn du nicht einmal Japan verlassen kannst? Und wo konnte man sich in dieser engmaschigen, hermetischen Gesellschaft mit zwei runden Augen verstecken? Und wie lange? Höchstens ein paar Wochen, und das war eine optimistische Schätzung. Und dann was? Jetzt, da du die Identität des Opfers kennst, werden die Amerikaner dich liquidieren.
Und Solange auch.
Sie werden glauben, dass du mit ihr gesprochen und ihr alles erzählt hast. Obwohl es meist zutrifft, dass das, was man nicht weiß, einen das Leben kostet, kann mich in dieser verkehrten Welt, in der ich jetzt lebe, ebenso leicht das töten, was ich weiß. Würde Solange die Identität der Zielperson kennen, befände sie sich ernsthaft in Gefahr.
Also bitte, dachte er. Sie ist die Geisel meines Handelns.
Ich darf nicht zulassen, dass noch eine Person stirbt, die ich liebe.
Ich könnte es nicht ertragen.
Aber wirst du es auch schaffen?, fragte er sich. Woroschenin ermorden und dir trotzdem ein Leben mit Solange aufbauen? Ist das nicht zu viel verlangt?
Vielleicht, dachte er.
Aber er beschloss, es zu versuchen.
Solange kam aus dem Schlafzimmer in den Garten. Sie sah reizend aus mit ihren zerzausten Haaren; ihre Lider waren schwer, und sie wirkte schläfrig.
Nikolai ließ die Akte auf seinen Schoß sinken und klappte sie zu.
»Wir haben Geheimnisse voreinander?«, fragte sie. »Keine Angst, ich will es nicht wissen.«
Sie zündete zwei Zigaretten an und reichte ihm eine. »Mir ist egal, was für eine Geschichte ihr euch ausdenkt. Am Ende zählt nur Essen, Wein, Sex und Babys. Das ist es, was die Menschen wirklich interessiert. Alles andere? Alberne Män nerspiele. Geh spielen. Komm zurück und mach mir ein Kind.«
»Das würde ich gerne«, sagte Nikolai. »Sehr gerne.«
»Gut. Ich kümmere mich ums Essen.«
Sie küsste ihn auf die Stirn und ging ins Haus.
Nikolai studierte weiter die Akte. Als Mensch interessierte Woroschenin ihn überhaupt nicht, doch als Zielperson sehr. Er musste wissen, wie sein Verstand funktionierte – was ihm gefiel, was nicht, welche Angewohnheiten er hatte.
Abgesehen von seinem Faible für Sadismus trank der Mann auch noch, vielleicht sogar exzessiv. Aber alle Russen tranken. Nikolai bezweifelte, dass ihn das angreifbar machte.
Den Unterlagen war zu entnehmen, dass Woroschenin auch den Frauen gegenüber nicht abgeneigt war – was Nikolai nicht überraschte. War das ein möglicher Ansatz? Vielleicht, aber das »neue« Peking gab sich bekanntermaßen puritanisch. Die Kommunisten hatten die Bordelle geschlossen, und die meisten professionellen Konkubinen waren mit der Kuomintang geflohen. Wenn Woroschenin eine Frau in der Stadt hatte, dann würde er sie gut versteckt halten – was Möglichkeiten eröffnete – aber auch Schwierigkeiten aufwarf.
Was noch?
Woroschenin spielte Schach – auch das wie die meisten Russen –, aber offensichtlich spielte er sehr gut, wie man es erwarten durfte. Er aß gern, kannte sich mit Weinen aus und hatte während seiner Zeit in China eine Vorliebe für die Pekingoper entwickelt.
Das war so
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