Satori - Winslow, D: Satori - Satori
Handgelenk los.
Nikolai saß auf dem Rücksitz, rauchte, sah aus dem Fenster und tat, als würde er nicht merken, dass der Wagen nicht nach Xuanwu, sondern Richtung Trommel- und Glockenturm abbog.
65
K ang präparierte die Bühne.
Alles sollte perfekt sein, ein makelloses Bühnenbild für das Drama, das er inszenieren würde – den Text dazu hatte er längst geschrieben.
Dieser Nikolai Hel würde die für ihn vorgesehenen Sätze sagen. Vielleicht nicht gleich zu Beginn, wenn ihn sein männlicher Stolz noch zwang, Widerstand zu leisten; aber schließlich würde er doch nachgeben und die Worte sprechen. Er würde als Mann kommen, aber als Eunuch gehen, die Bühne als sheng betreten und als dan verlassen, beschämt würde er darum betteln, sterben zu dürfen.
Doch in Hels Fall kam ein privater Tod in relativer Würde nicht infrage. Kang würde das, was von ihm übrigblieb, für eine weitere Aufführung nutzen und ihn vor Tausenden von Zuschauern an der Himmelsbrücke demütigen. Statt einer bestickten Robe würde Hel ein Plakat auf dem Rücken tragen, man würde ihn mit schweren Seilen fesseln, und er würde sich zum Donnern der Gewehre und dem Gebrüll der Masse ein letztes Mal verneigen.
Kang spielte mit dem fein gearbeiteten Draht in seinen Händen – an einem Ende befand sich eine spitze Nadel, am anderen eine Schlaufe –, mit dem er beabsichtigte, Hels Männlichkeit aufzuspießen.
»Mit dem Jinghu-Bogen über die Saiten streichen« hatte Kang diese neue Technik genannt, und er konnte sich schon jetzt die Töne vorstellen, die Hel entfahren würden, wenn er ihm den Draht durch die Hoden schob und zog.
Kang hatte sich dem Anlass entsprechend gekleidet – eine schwarze Jacke mit schwarzem Brokat zu einer schwarzen Pyjamahose aus Seide und schwarzen Slippern. Die Haare hatte er akkurat zurückgekämmt, die Augenbrauen gezupft und einen zarten, kaum sichtbaren Hauch von Rouge aufgetragen.
Er freute sich auf die mentale Tortur, die mit der körperlichen Folter einherging – er würde Hel die ihm bevorstehenden Qualen zunächst anschaulich demonstrieren, ihm anbieten, das Urteil aufzuheben und es dann trotzdem vollstrecken.
Er würde alle Saiten zwischen Verzweiflung und Hoff nung, Entsetzen und Erleichterung, Wut und Leere zum Klin gen bringen und einem Höhepunkt zuführen, auf dem es ausschließlich Schmerzen gab.
Wie in jeder guten Oper würde die Musik von Sprechpassagen unterbrochen werden, immer dann, wenn Hel seine Monologe aufsagte. Ja, er war ein amerikanischer Agent, ja, er hatte den Auftrag, den Verräter Peng zu instruieren, ja, sie hatten heimlich Waffen an konterrevolutionäre Elemente in Yunnan liefern wollen, ja, sie hatten vor, den Großen Vorsitzenden Mao zu ermorden.
Er hörte die Wagentüren zufallen, dann Schritte auf dem Kiesweg.
Die Oper konnte beginnen.
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Die Lampen im Saal erloschen, und die Bühne erstrahlte im Licht der Scheinwerfer.
Woroschenin, der bequem in seiner Privatloge saß, beugte sich vor und blickte auf die schwarze Bühne, die sich traditionell immer an der Nordseite des Zuschauerraums befand. Er liebte dieses alte Theater mit den vergoldeten roten Säulen, die die Bühne einrahmten, dem alten Holzboden, den Verkäufern, die herumgingen und Erdnüsse und dampfende heiße Tücher verkauften, das Geplapper und Gelächter.
Der Platz neben ihm war frei geblieben.
Hel war nicht gekommen.
Woroschenin wusste, dass der törichte junge Mann selbst eine Oper besuchte, in der er unfreiwillig die Hauptrolle sang.
Nach einem Augenblick erwartungsvoller Stille stimmte das Orchester die ersten Töne an und Xun Huisheng betrat die Bühne. Xun, der als huadan – als aufreizende junge Frau – gekleidet war, trug eine lange dunkelrote Robe aus der Ming-Ära mit Blumen an den Schultern und weiten »Wasserärmeln«. Er stand in der Mitte der Bühne und hielt seine shangching , die Eröffnungsrede, mit der er sich als die Rote Magd vorstellte.
Dann zog er mit einer winkenden Handbewegung und einer Anmut, die das Ergebnis jahrzehntelanger Übung war, eine Schriftrolle aus dem Ärmel, hielt kurz inne und setzte an zur berühmten ersten Arie.
Dieser Brief beweist die Affäre.
Auf Befehl meiner Dame befinde ich mich auf
dem Weg zur westlichen Kammer.
Am frühen Morgen regiert die Stille.
Lasst mich, die Rote Magd, leise husten,
um ihn zu warnen.
Woroschenin war entzückt.
67
» G o-Spieler vom Radar verschwunden.«
Haverford spürte, wie ihm das Blut in den
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