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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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verzog das Gesicht und sagte zum Beispiel: »Na, Klößchen, eine Ähnlichkeit kriegst du ja nicht hin, schau mal, so geht das«, und er warf ein paar dicke, dunkle Linien aufs Papier – »hier die Nase, ja, so, und hier, guck, wie dunkel das ist, und hier, wie die Hand auf dem schwarzen Kleid leuchtet …« Er glaubte die Zeichnung zu verbessern, ich fand, er habe sie unwiderruflich zerstört. Mit einem Lächeln gab er sie mir zurück, als wäre er der Meinung, er habe mir den richtigen Weg gezeigt; und ich betrachtete diese fremden, scharfen Striche, und Tränen stiegen in mir auf: Was für eine brutale Schramme ging da über die Wange und verlieh ihr angeblich eine »wahrhaftigere« Form! Welch gespenstische Ringe um die Augen! Wo war die ganze Schönheit, die Anmut geblieben – wenn auch die Proportionen nicht so ganz gestimmt hatten? Wo war die Glätte und der Reiz der Details – der präzise gezeichnete Rand der Spitze, die Haarsträhne?

Francisco spricht
    Wie ein Weibsbild hat er gezeichnet. Überhaupt erinnerte er immer mehr an ein Weibsbild, je größer er wurde; sein Arsch wurde breit wie bei einem Mädel, das man schon bumsen kann, er kam zwar in den Stimmbruch, aber männlicher wurde die Stimme nicht; das weiß ich, weil ich Pepa gefragt habe – angeblich piepste er nur irgendwie, kläglich, schwächlich, ich sah es sogar an seinen Augen, wenn er etwas sagte. Um ihn zu ermuntern, rief ich schließlich: »He, du kaputte Flöte«! Aber das fand er gar nicht lustig, überhaupt war er sehr empfindlich geworden, und meine Scherze amüsierten ihn nicht, vor allem, wenn sie ihn selbst betrafen. Ständig trieb er sich im Haus herum, die Nase immer in einem Buch, blass, ungesund. »Einen Stickrahmen brauchst du«, sagte ich, »ein Stickrahmen ist genau das Richtige für dich!« Er konnte weder anständig reiten – auf dem Muli oder dem Pferd saß er wie eine Puppe –, noch wollte er zum Stierkampf; er wich mir aus, versteckte sich in irgendwelchen Ecken, sicher schneuzte er heimlich den Kasper und wurde davon immer blasser.
    Manchmal sah ich ihn plötzlich irgendwo im Haus und dachte: Ist das wirklich mein Sohn, die Hoffnung des Geschlechts, der Enkel des Vergolders, der, wenn es nötig war, zu einem gewöhnlichen Bauern wurde und die Äcker seiner Frau in Fuendetodos bestellte, der Sohn des Malers, der Herzoginnen kannte, manche sogar näher, und Könige eines großen Imperiums, die ihm erlaubten, mit ihnen auf die Jagd zu gehen, ihnen die Hand zu küssen und so vertrauten Umgang zu pflegen, wie es überhaupt nur möglich ist? Sollte der Nachkomme, leider der einzige Nachkomme dieser beiden, dieser Hänfling, dieses Weibsbild sein, dieser Schwächling, der mit zwanzig hier und da Fett ansetzte, der immer träger wurde, seinen Hintern breithockte, bleich wie die Wand durchs Haus schlich und keinen Ton von sich gab? Dieses Etwas? Wie konnte es, verdammt noch mal, passieren, dass dieser hübsche Junge, der schönste Anblick von Madrid, sich in so eine erbärmliche Drohne verwandelte?
    Ein Weibsbild, ein Weibsbild hätte er gebraucht, um nicht selbst zu einem zu werden; aber er ging weder zu den Nutten, noch fand er Gefallen an den Mädchen seines Standes, und die höhergestellten schaute er auch nicht an; ich habe nie gesehen, dass seine Augen geleuchtet hätten. Nicht ein einziges Mal. Bei keiner. Bei nichts – als hätte er einen schrecklichen Schmarotzer in sich, der alle Lebensfreude, alle Manneskraft aussaugt. Ich dachte sogar, vielleicht hat sich in der Schule irgendein Lustmolch an ihm vergriffen, hat ihn sich geschnappt und zu einem Weibsbild gemacht? Oder ein Junge in seinem Alter? Vielleicht war da etwas, wie es hin und wieder zwischen Gleichaltrigen in einer dunklen Ecke geschieht und dann wie ein Geschwür wächst und sich wie Leichengift über ihr ganzes Leben ergießt. Ich habe von solchen Fällen gehört, von kräftigen, robusten Männern, die – in jungen Jahren durch eine Schurkerei in der Schule vergiftet – ihr ganzes Leben in Leidenschaft zu irgendeinem Bürschchen entbrannt waren. Wie die jungen Gänschen, die das erste lebende Geschöpf, das sie sehen, wenn sie geschlüpft sind, für eine Gans halten, so können diese Jungs die wahre Freude an der Fummelei immer nur mit dem ersten verbinden, mit dem sie unter dem Tisch den Pimmel betatscht, mit dem sie sich im Keller, mit geklautem Schlüssel, auf irgendeinen verschimmelten Strohsack gelegt und wie Tiere gepaart haben; o ja, ich habe

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