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Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition)

Titel: Saturn. Schwarze Bilder der Familie Goya: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacek Dehnel
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nach den Großeltern als nach den Eltern. Das kann man immer sehen, es sei denn, einer schlägt total aus der Art.« Sie lachte laut, drehte sich weg und machte eine unanständige Geste, die ich nicht genau sah. »Oh, solche Geburten habe ich schon öfter erlebt, oje. Freuen Sie sich lieber über die Familienähnlichkeit, denn die Ähnlichkeit, und sei’s zum Opa, ist immer eine Garantie, dass es sich um das eigene Fleisch und Blut handelt.«
    Das war mir beim besten Willen kein Trost.

Francisco spricht
    Ich weiß nicht, ich verstehe das einfach nicht: Wie kann man so gleichgültig auf die Geburt des ersten Sohnes reagieren? Ich habe am Tag der Geburt meines Antonio vor lauter Freude zuerst auf der Straße getanzt und mich nachher so betrunken, dass ich zwei Tage nicht nach Hause kam, weil ich keine Kraft in den Beinen hatte. Und der ist wie ein kalter Fisch: Kommt herein, fragt, warum das Kind ihm nicht ähnlich sieht, und geht wieder.
    Wie konnte man von diesen schwarzen Äuglein nicht entzückt sein, von diesen Fingerchen, dem zarten Flaum auf der Haut, diesen Füßchen wie kleine Juwelen? Ich schmolz dahin wie Butter. Schon an dem Tag, als ich verspätet in die Calle de los Reyes lief, wie ein Jungspund zwei Stufen auf einmal nahm und in den ersten Stock hechtete, wusste ich, dass da ein Menschlein auf die Welt gekommen war, das ich nicht weniger liebte als meinen eigenen Sohn.
    Als ich aus Gumersindas Schlafzimmer kam, sah ich Javier in der Bibliothek sitzen, ganz im Dunkeln (es dämmerte schon, und die Schatten wurden dichter), als wäre ihm kein freudiges Ereignis, sondern eine Tragödie widerfahren. Ich blieb an der Schwelle stehen und betrachtete ihn, der aus dem Fenster schaute – ich wollte eigentlich hineingehen und etwas zu ihm sagen, aber ich wusste nicht was. Wie schwer ist es doch, die eigenen Kinder zu verstehen.

X
Javier spricht
    Es ist geschehen: Ich komme ins Zimmer und sehe die beiden, schlafend – seinen alten, an einigen Stellen schlaffen Körper, aufgedeckt, denn es ist mitten am Tag, die Luft steht, und die dünnen, durch den Laden fallenden Lichtstreifen zerschneiden die breite, zerzauste, weiche und teigige Wolfsbrust mit den struppigen schwarz-grauen Zotteln; ein betrunkener Noah, der ein bisschen mehr auf dem Gewissen hat als die Erfindung des Weins; und sie, zart, schlank, mit goldener Haut, die neben ihm liegt, als wäre sie zufällig so gefallen, zufällig nackt: mit einem Fuß aufgestützt bei dem Versuch, das Bild über dem Bett zurechtzurücken, umgekippt, ohnmächtig geworden – und jetzt liegt sie zusammengerollt unter seiner linken Achsel, und der Lichtstreifen, der über seine Brust geht, huscht weiter über ihre Wange und erreicht den Hals, wo er eine kleine Armada von Schweißtröpfchen beleuchtet; sie liegen beinahe getrennt, aber dennoch zusammen, das Bettzeug haben sie ans Fußende getreten und berühren sich nur mit den Knien: das kleine Mädchenknie, das – wie bei einem Pferd – etwas zu groß für das zierliche Bein ist, und das riesige, knotige Männerknie, das mit seinem Zwilling den mächtigen, stämmigen Körper trägt, der es schafft, an einem Tag mehrere Vögel und Hasen zu schießen, vier große Mahlzeiten zu verdrücken, einen Liter heiße Schokolade zu saufen, ein Dutzend Zeichnungen anzufertigen, zur Hälfte ein Porträt zu malen und bei all dem noch einen anderen Körper zu betatschen, der sich durch Öffnungen und Vorsprünge von seinem eigenen unterscheidet; mindestens einen am Tag.
    Also greife ich nach dem Nächstbesten. Messer, Pistole, Degen. Jedes Mal nach etwas anderem. Und entscheide augenblicklich: die Kehle durchschneiden, zuerst dem einen, dann dem anderen, dass sie hochfahren, röchelnd, nach allen Seiten dickes, klebriges Blut verspritzend; sie greifen sich an den Hals, versuchen diesen Fluss zu stillen, aber dieser Fluss lässt sich nicht stillen; aus dem Schlaf geschreckt, werden sie bald mich, bald einander anstarren, entsetzt, immer schwächer werdend, bis sie wieder auf den Platz sinken, wo sie in der abscheulichen Sünde zusammenlagen; oder nein, nein, einer wieder zurück, und der andere, sagen wir sie, soll sich noch aufrappeln, noch aus dem Bett kommen, sie soll einen Fuß auf den Boden setzen, die Hand nach mir ausstrecken, fluchend und zugleich um Verzeihung bittend, und erst dann wird sie mit einem lauten Schlag zusammenbrechen. Oder der Degen – ein Stich direkt ins Herz. Ebenfalls viel Blut, aber dafür können sie noch

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