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Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi

Titel: Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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halbstündigen Spaziergang nach Hause, um ruhig und müde zu werden, um wieder in der Welt anzukommen. War ihr das jetzt genommen worden? Verdammtes Schwein, dachte sie mit plötzlich aufloderndem Zorn.
    Sie fühlte sich unbehaglich und missgestimmt, umso mehr, als ihr auf dem Weg zur Arbeit in den Sinn kam, dass im Büro ein weiteres Problem auf sie wartete. Die 7000 Franken und der dazugehörige Dankesbrief. Das hatte sie völlig verdrängt. Nun glaubte sie sich vage erinnern zu können, geträumt zu haben, dass der Handtaschenräuber ihr einen Zettel mit dem Text ›Danke für Ihr Entgegenkommen‹ hinterlassen hatte. Wider Willen war sie amüsiert. Offenbar war ihr der Hang zur Selbstironie nicht ganz abhandengekommen. Ein gutes Zeichen. Geld und Zettel würde sie gnadenlos Jenny übergeben. War Chefsache, diesem Problem auf den Grund zu gehen.
    Im Büro warf Lina die ungeliebte Tasche aufs Pult und setzte sich. Ihr Blick fiel auf den Schubladenkorpus. Was war denn das? Sie schluckte. Die Pultschublade, die sie gestern Abend abgeschlossen hatte, stand einen Spalt offen. Sie wusste es schon, bevor sie sie ganz herausgezogen hatte: Sie war leer. Keine 7000 Franken. Keine Notiz. Sie besah sich die Schublade näher. Sie war aufgebrochen worden. Etwas Holz war abgesplittert und das Schloss war verbogen. Aufgebrochen. Eine Weile saß sie da, wie gelähmt, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen.
    »Hey, gehts dir gut?«, das war Mario. »Was hast denn du für eine Beule?«
    Einen Augenblick lang war Lina versucht, sich Mario anzuvertrauen, er war ein guter Kollege, hilfsbereit und vernünftig. Aber etwas hielt sie davon ab, sie wusste selbst nicht genau, was.
    »Ach, das ist halt passiert«, redete sie sich, wenig überzeugend, heraus. »Nein, mein Freund hat mich nicht geschlagen«, fügte sie hinzu, als sie Marios forschenden Blick sah. Sie schaltete ihren Computer ein, sie musste ein bisschen Zeit gewinnen. Gleich würde sie zu Esther Jenny hinübergehen müssen und ihr die ganze Sache servieren.
    Esther Jennys Gesicht verfinsterte sich, während Lina ihre Geschichte erzählte. Jenny war eine leicht rundliche, gut angezogene Frau mit grauem Chignon, die jünger wirkte, als sie war. Sie wäre elegant gewesen, wenn nicht eine Aura von fröhlichem Chaos sie umgeben hätte. Zu Esther Jenny gehörte es, ständig ein bisschen aufgeregt zu sein, immer hing irgendwo eine Strähne aus der Frisur, der Schal war verrutscht oder die Handtasche war halb offen. So gut sie ihr eigenes Durcheinander im Griff hatte, so wenig mochte sie es, mit fremdem Wirrwarr konfrontiert zu sein.
    »Wie sehen Sie denn aus?«, hatte sie ausgerufen, als Lina zu ihr ins Büro gekommen war. Daran werde ich mich gewöhnen müssen, dachte Lina ergeben. Irgendwann wird das Ding ja wieder weg sein.
    Sie hatte sich bemüht, die Ereignisse ruhig und schnörkellos darzulegen. Jenny blickte sie misstrauisch an. »Und das soll ich Ihnen glauben?«
    Lina wurde wütend. »Erfunden habe ich es jedenfalls nicht.«
    »Können Sie das denn irgendwie belegen?« Jenny wirkte zerfahren. Hilflos, dachte Lina ärgerlich.
    »Ich kann Ihnen die Pultschublade zeigen. Sie ist aufgebrochen worden«, erklärte Lina nochmals langsam und deutlich. »Was drin war, kann ich Ihnen allerdings nicht vorlegen. Denn das ist erstaunlicherweise weg«, fügte sie sarkastisch hinzu.
     
    »Tatsächlich. Aufgebrochen«, stellte Esther Jenny fest. Sie kauerte nieder und berührte die Schublade. »Vielleicht hat es Fingerabdrücke«, mutmaßte sie.
    »Jedenfalls Ihre sind jetzt drauf«, gab Lina unwirsch zurück.
    Die anderen waren aufmerksam geworden, kamen hinzu. Lina gab einen Kurzbericht. Niemandem war etwas aufgefallen. Mario Bianchera war als Erster gekommen, ein paar Minuten nach 7 Uhr. Gegen 8 Uhr war Carlo Freuler und kurz nach ihm Raffaela Zweifel eingetroffen. Esther Jenny war schon vor 7 Uhr da gewesen, aber sie war gleich in ihr Büro gegangen.
    »Wieso denn aufgebrochen?«, wollte Mario wissen. »Hattest du denn etwas Besonderes in der Schublade?«
    Lina zögerte. Bevor sie antworten konnte, intervenierte die Chefin. »Frau Kováts, Sie sagen jetzt gar nichts mehr. Ich muss die Polizei anrufen.« Sie verschwand in ihrem Büro.
    »Wir haben doch ein Recht darauf zu wissen, was hier abgeht«, beschwerte sich Carlo.
    »Du wirst es schon erfahren«, meinte Lina müde.
    »Hast du eine neue Tasche?«, das war natürlich Raffaela.
    »Ach das, nein«, Lina hatte eigentlich gar nichts

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