Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
davon sagen wollen, aber jetzt erzählte sie es doch. Dann würden ihre Kollegen ihr wenigstens glauben, dass sie keinen Schlägertypen zu Hause hatte. »Mir ist gestern auf dem Heimweg meine Handtasche entrissen worden. Wahrscheinlich von irgendeinem Junkie.«
»Die Handtasche weg? Und ein Einbruch in dein Pult? Am selben Tag?« Mario war ganz entgeistert. »Du musst ja völlig fertig sein.« Lina nickte nachdrücklich.
»Was trägst du denn mit dir herum? Die beiden Vorfälle müssen doch einen Zusammenhang haben«, schlussfolgerte Carlo. »So einen Zufall gibts doch nicht.«
Natürlich war das Lina auch durch den Kopf gegangen. Aber sie wehrte ab. Mit Carlo würde sie das sicher nicht diskutieren. Überhaupt wollte sie jetzt einen Moment ihre Ruhe haben. Gleich würde ein Beamter der Stadtpolizei anrücken.
»Übrigens«, meldete sich Carlo nochmals, »hast du die Korrektur des Protokolls, das ich dir gestern für die Sitzung mitgegeben habe?«
Lina wusste nicht, wie sie sich aus der Affäre ziehen sollte. »Ich habe es verloren«, sagte sie einfach. »Aber ich glaube, das ist jetzt ohnehin egal. Nimm die Variante, die dir logisch erscheint.«
»Und warum sollte ihr das jetzt egal sein? Weil deine Schublade aufgebrochen wurde, oder was?«
So geht das nicht, dachte Lina. Jenny kann die Geschichte nicht unter dem Tisch halten.
Die erste Reaktion ihrer Chefin auf ihren Bericht gab ihr zu denken. Sie hatte die Geschichte einfach nicht glauben wollen. Gut, das war Jennys Art, unangenehme Dinge von sich fernzuhalten. Immerhin konnte Lina auf die aufgebrochene Schublade hinweisen. Aber der Rest – sie hatte in der Tat keinen Beweis. Natürlich würde auch Angela Legler dazu befragt werden. Was, wenn sie es abstritt? Wie stand sie, Lina, dann da? Als Lügnerin, die sich wichtigmachen wollte? Als Intrigantin, die einer Politikerin etwas in die Schuhe schieben wollte?
Der Polizeibeamte, Adrian Dürst, protokollierte Linas Aussage sorgfältig. Aus Jennys konfusem Bericht am Telefon war er nicht schlau geworden, aber die Sache hatte ganz vielversprechend geklungen. Nicht das langweilige Alltagseinerlei. Seine Erwartungen waren nicht enttäuscht worden. Eine eigenartige Geschichte. Konnte ebenso gut auf einen kleinen Politskandal hinauslaufen wie auf private Verstrickungen einer umstrittenen Politikerin. Es sei denn, das Ganze war eine Fantasiegeschichte dieser Mitarbeiterin. Wobei diese Lina Kováts eigentlich einen vernünftigen Eindruck machte. War nicht der Typ einer psychisch labilen Person, die eine Räubergeschichte erfand. Sie hatte klar ausgesagt, weder stereotyp noch widersprüchlich. Nun untersuchte Dürst die Pultschublade. Die Fingerabdrücke, die sich darauf fanden, waren von Lina Kováts selbst und von Esther Jenny. Die anderen Mitarbeiter, die er über die Geschehnisse orientiert hatte, hatten nichts bemerkt, ihre Schreibtische waren unberührt und es fehlte nichts. Auch die Fünfzigernote in Mario Biancheras unverschlossenem Pult war noch da. Jenny händigte dem Polizisten eine Namensliste der Kantonsratsmitglieder aus. 15 der 180 Kantonsrätinnen und Kantonsräte hatten einen Vornamen, fünf einen Nachnamen, der mit P begann. Ging ja noch. Aber darum würde er sich später kümmern.
Dürst machte sich auf, um Angela Legler zu befragen. Sie war auf einer Sitzung der Verkehrs- und Umweltkommission, die bis 12.30 Uhr dauerte.
Sie stutzte, als sie merkte, dass schon wieder ein Polizist auf sie wartete. »Die Drohbriefe habe ich doch schon gestern Ihrem Kollegen, Streiff hieß er, übergeben«, sagte sie.
Dürst, überrascht – soso, die Dame hat Drohbriefe erhalten, dem wird man nachgehen –, schaltete schnell und beschloss eine Frontalstrategie: »Ich komme nicht wegen der Drohbriefe, sondern wegen der 7000 Franken«, erklärte er.
»7000 Franken?« Leglers Gesicht verwandelte sich in ein höfliches Fragezeichen. War sie zuvor eine Millisekunde zusammengezuckt? Dürst war sich nicht sicher.
»Könnten Sie mir die Kartonmappe zeigen, die Sie gestern an der Sitzung der AG KVK dabeihatten?« Jetzt glaubte er, eine kleine Unsicherheit an ihr wahrzunehmen.
»Was für eine Kartonmappe? Ich trage dauernd Stöße von Unterlagen in diversen Kartonmappen mit mir herum.«
Dürst erläuterte ihr den Sachverhalt. Eine Mitarbeiterin der Parlamentsdienste habe nach der Rückkehr in ihr Büro ihre Mappe vermisst und dafür eine andere bei sich gehabt und glaubte, sie mit jener von Angela Legler
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