Satzfetzen: Kriminalroman: Ein Zürich-Krimi
sagen. »Na, du erlebst ja Abenteuer, während unsereins friedlich im Sessel einen Krimi liest«, staunte sie, als Lina geendet hatte.
»Eben«, meinte Lina, »es ist eine Art Krimi, nicht?« Sie nahm einen Bissen ihrer kalt gewordenen Käsequiche. »Und so wie es die Leute immer in den Krimis machen, habe ich der Polizei nicht alles gesagt, sondern will es zuerst mit dir besprechen. Denk an die Sitzung. An die Abstimmung. Die Legler hat doch plötzlich anders gestimmt, als alle es erwartet haben. Vielleicht ist sie wirklich bestochen worden? Hast du vielleicht gesehen, dass ihr jemand etwas zugesteckt hat? Oder sie angeschaut hat oder irgendwas halt?« Sie schnitt sich noch ein Stückchen ihrer Quiche ab.
Valerie legte den Löffel ab und überlegte. »Natürlich haben alle sie angeschaut. Vor allem nach der Abstimmung. Zur Sitzung gekommen ist sie mit verschiedenen Unterlagen. Leuzinger hat mit ihr geredet, aber auch Beglinger. – Ich weiß wirklich nicht, ob da etwas Besonderes war. In der Arbeitsgruppe ist jedenfalls niemand, dessen Name mit P beginnt. Doch, Peter Spälti. Aber der würde sie doch nicht bestechen. – Aber warum hast du das nicht der Polizei erzählt?«
»Weil ich ohne Beweis so blöd dastehe. Wenn ich diese Vermutung äußern würde, wäre das doch eine ziemlich schwerwiegende Unterstellung. Es sähe so aus, als ob ich da eine Intrige starten würde. Kannst du nicht versuchen, etwas herauszukriegen? Du findest sicher einen Grund, die Kommissionsmitglieder anzurufen, du kannst irgendetwas fragen. Du hast doch seinerzeit auch recherchiert.«
Valerie ließ sich ungern daran erinnern. Als vor ein paar Jahren in FahrGut ein Toter aufgefunden worden war, hatte sie tatsächlich im Geheimen ein bisschen mitgemischt bei den Ermittlungen und eine wichtige, sogar die entscheidende Entdeckung gemacht. Allerdings hatte sie sie, halb aus Eigensinn, halb aus Unsicherheit, zu lange für sich behalten und die Auflösung des Falls dadurch hinausgezögert. Jetzt schaute Lina sie so drängend an, dass sie halbherzig versprach: »Mal sehen, was ich tun kann.«
Dann kam ihr eine andere Idee. »Hast du die Sitzung schon abgehört? Vielleicht ist etwas Verräterisches auf der Aufnahme.«
In den Sitzungszimmern hatte nicht jede Person ein Mikrofon vor sich wie im Ratssaal, sondern es waren zwei Raum-Mikrofone auf den Tischen platziert, die nicht nur den Redner aufnahmen, sondern auch jedes Niesen, Stuhlrücken und eben ab und zu auch geflüsterte Bemerkungen, die nicht fürs Protokoll bestimmt waren.
»Nein, ich bin noch nicht dazu gekommen, aber das ist eine gute Idee«, meinte Lina.
»Wie geht es dir denn jetzt nach dem Überfall?«, wollte Valerie wissen. »Erzähl mir nicht, dass du das einfach so wegsteckst. So cool bist du nicht.«
»Ich habe Angst«, sagte Lina einfach. »Ich hatte heute Morgen Angst, als ich im Dunkeln aus dem Fenster sah. Ich habe das Haus erst verlassen, als es hell war. Ich werde heute Abend nicht ins Atelier fahren und spät heimkommen, sondern nach der Arbeit gleich nach Hause gehen.« Sie zuckte die Schultern. »So siehts im Moment aus. Zwecklos, mich dagegen zu wehren. Es wird sich wohl schon wieder ändern.«
»Sicher«, meinte Valerie, »zwing dich zu nichts. Gib dir den Schutz, den du brauchst. Wenn du dir den Fuß verstaucht hättest, würdest du ihn auch nicht belasten, solange er noch weh tut. Das kommt schon wieder.«
Lina nickte. Sie kam sich vor, als ob sie eine Behinderung hätte. Sie wollte nicht, dass jemand davon wusste. Valerie ahnte, was in ihr vorging. Die stolze Lina, dachte sie, aber sie wird das schon hinkriegen.
Raffaela Zweifel saß allein im Café eines Kaufhauses vor einem kleinen Salatteller. Manchmal verabredeten sie sich zum Essen, Lina, Mario, Carlo und sie, aber heute waren alle eigene Wege gegangen. Eigentlich komisch. Man hätte doch annehmen können, die anderen hätten über die Vorfälle tratschen wollen. Lina vielleicht nicht, die war ja am direktesten betroffen. Aber auch Mario und Carlo hatten sich davongemacht, ohne zu fragen, ob jemand mitkommen wolle. Ob auch sie etwas zum Nachdenken hatten? Die waren jedenfalls in einer besseren Position als sie, die mit ihren festen Stellen. Während sie … Raffaela seufzte. Ihr war es in den vergangenen Jahren nicht besonders gut gegangen. Sie hatte nur eine bedingte Strafe gekriegt, damals, vor vier Jahren, weil sie auf dem Kanzleiflohmarkt geklaute Ware verhökert hatte. Aber wenn man eine
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