Saubere Verhältnisse
und schob ihn unsanft an den Eßtisch.
»Aber du lebst nicht in einer richtigen Ehe«, sagte Yvonne mit Trotz in der Stimme.
Bernhard drehte sich langsam um und betrachtete sie, als hätte sie etwas Unpassendes, beinahe etwas Ketzerisches gesagt.
»Willst du es nicht erzählen? Du leidest doch daran, oder?« fuhr sie mit weicherer Stimme fort.
Schweigend knöpfte er sein Hemd zu, einen Knopf nach dem anderen.
»Hat sie dich verlassen?«
Immer noch schweigend schleuderte er den Schlips um den Hals und ging hinaus in die Diele. Yvonne folgte ihm und stellte sich hinter ihn, während er vor dem Spiegel den Schlips band.
»Helena ist verreist«, sagte er zum Spiegel. »Aber sie kommt zurück.«
»Bist du da ganz sicher?« fragte Yvonne.
»Natürlich.«
Der Schlips war gebunden, aber er blieb mit dem Rücken zu ihr stehen, und das Gesicht, das sie im Spiegel sah, war feindselig und abweisend.
»Bernhard«, sagte sie ernst. »Wo ist deine Frau?«
Beide schwiegen lange, und ihre Blicke trafen sich im Spiegel, als ob es leichter wäre, sich so anzuschauen. Dann holte er tief Luft und sagte:
»Helena sitzt im Gefängnis.«
Das war die letzte Antwort, die sie erwartet hätte. Es war so absurd, so unglaublich, daß es wahr sein mußte. Sie versuchte, die Stimme ruhig zu halten, obwohl sie ziemlich aufgewühlt war.
»Wie lang ist ihre Strafe?«
»Zehn Jahre.«
»Zehn Jahre!« keuchte Yvonne. »Dann muß sie ein schlimmes Verbrechen begangen haben.«
Er nickte in den Spiegel.
»Das allerschlimmste.«
Die Antwort wirbelte durch ihren Kopf und ließ sich nicht deuten.
»Meinst du …«, murmelte sie verwirrt.
Er drehte sich zu ihr um und sagte:
»Helena ist wegen Mordes verurteilt worden.«
Yvonne hatte noch nie eine solche Trauer in den Augen eines Menschen gesehen. Überwältigend. Vernichtend. In seinen Augen glänzten Tränen, bis sie überflossen und sein Gesicht sich zu einer schmerzlichen Grimasse verzog. Man konnte es fast nicht mit ansehen.
Er tastete blind nach ihr. Sie nahm ihn in die Arme und spürte seine nasse, salzige Wange an ihrem Mund. Mindestens zehn Minuten standen sie so da, Bernhard wurde vom Weinen geschüttelt. Er steckte seine Hände unter ihren Wollpullover, wie um sich zu wärmen, und sie löste den gerade so sorgfältig gebundenen Schlips.
Als er sich beruhigt hatte, nahm sie ihn bei der Hand wie ein Kind und führte ihn zum Sofa im Wohnzimmer.
»Erzähl«, sagte sie.
Und als wäre dies das Losungswort, begann er zu erzählen, schnell und immer noch schniefend, dann ruhiger, als ob das Erzählen ihn erleichtern würde.
»Das Schrecklichste ist, daß ich schuld daran bin.«
»Wieso das?«
»Ich habe sie draußen in unserem Sommerhaus in Åsa mit einer anderen Frau betrogen. Helena hatte einen Verdacht und fuhr hinaus. Sie hat uns gewissermaßen auf frischer Tat ertappt. Was ich ihr angetan habe, ist unverzeihlich. Helena ist immer eine wunderbare Frau gewesen, sie würde mich nie verraten. Wir haben uns kennengelernt, als es mir sehr schlecht ging, sie hat mir das Leben gerettet, ganz einfach. Und dann erwischt sie mich im ehelichen Bett zusammen mit einer anderen Frau! Da ist es doch verständlich, daß sie rasend wurde vor Eifersucht, oder?«
Yvonne nickte.
»Und ich glaube, das Gericht hätte auch ein gewisses Verständnis gehabt, wenn Helena etwas impulsiver gewesen wäre und sie der Frau sofort das Messer in den Leib gerammt hätte. Aber so ist Helena nicht. Sie ist … beherrscht. Es dauert sehr lange bei ihr, bis sie explodiert, aber dann um so heftiger.«
Er machte eine Pause und schien sich zu sammeln, ehe er fortfuhr:
»Ich habe sie natürlich um Vergebung gebeten für meine Untreue, aber davon wollte sie nichts hören. Ohne mein Wissen nahm sie zwei Wochen später Kontakt zu der Frau auf und bat sie höflich, sich mit ihr zu treffen und über die Angelegenheit zu reden. Sie verabredeten sich im Sommerhäuschen. Helena lud sie zum Essen ein – sie kocht ganz wunderbar. Sie unterhielten sich sachlich und vernünftig, über das, was geschehen war und was es bedeutete. Als die Angelegenheit besprochen war und der Gast gehen wollte, nahm Helena das japanische Filetiermesser, das ich ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, und stieß es der Frau mehrmals in die Brust. Deswegen war es keine Affekthandlung, sondern ein geplanter Mord. Und deswegen wurde auch die Strafe so hoch.«
Yvonne dachte an das eingeschweißte Foto, das sie in Bernhards Jackentasche gefunden
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