Saubere Verhältnisse
flüsterte Lotta in Yvonnes Ohr. Sie saßen an einem Tisch mit Papiertischtuch, Papierschlangen ringelten sich von der Decke, ein beschwipster Kollege von Benny hielt eine Rede.
»Was meinst du mit Ding?«
»Ja, halt so ein Einfall. Wie Kristalltherapie oder Kräuterfasten oder Callanetics. Was ein paar Wochen super ist und dann wieder verschwindet.«
»Nein, ich glaube, das ist ernst«, antwortete Yvonne. »Schau sie doch an.«
Cilla strahlte neben ihrem Benny. Sie trug ein erdbeerrotes, weich fallendes Kleid. Sie hatte seit dem Sommer zugenommen, ihre Kinnpartie war weicher geworden. »Erst jetzt, wo wahre Liebe ihn umgibt, kann ihr Körper sich gestatten, älter zu werden«, hatte Yvonne gedacht. Und als er erst einmal damit angefangen hatte, war es schnell gegangen. Als ob er mit einem tiefen, lustvollen Seufzer zusammengesackt wäre, wie ein altes Kissen. Fettpölsterchen traten hervor, Hautfalten hingen herab. Manchmal hatte Yvonne fast Angst, daß Cillas Körper nicht bei den zweiundfünfzig Jahren haltmachen, sondern noch tiefer im Verfall des Alters versinken würde. »Hallo, stop, du bist noch nicht sechzig«, wollte sie beinahe rufen, als Cilla an ihr vorbeischaukelte, auf diese leicht breitbeinige Art, die sich korpulente Matronen aus dem Süden manchmal gestatten, wenn sie älter werden, und die Cilla sich angewöhnt hatte, obwohl sie noch weit entfernt war von deren massiver Erscheinung. Sie trug jetzt weite, ethno-inspirierte Kleider, die sie dicker aussehen ließen, als sie war, und sie hatte die grauen Haare herauswachsen lassen, es sah aus, als trüge sie ein silberfarbenes Käppi auf dem ansonsten roten Haar.
Was hatte Cilla da nur für einen vergrabenen Schatz gehoben und wo konnte man ihn finden? Nicht einmal Cilla hatte es sagen können. »In der Straßenbahn«, antwortete sie, wenn man sie fragte, aber alle, sie eingeschlossen, wußten, daß die Antwort erheblich komplexer war.
Um zwölf traten die Hochzeitsgäste auf die Veranda, um das Feuerwerk anzuschauen, es verwandelte die Schrebergärten mit ihren Miniaturhäuschen in eine bunte Märchenwelt. Es wurde auf das Brautpaar und das neue Jahr angestoßen.
Yvonne war leicht betrunken, sie fühlte sich albern und zu Dummheiten aufgelegt. Sie tanzte wild mit dem Bräutigam und dann lange und eng mit einem seiner Kollegen aus der Transportbranche. Die Stimmung wirkte irgendwie harmonisierend. Heilend. Das anspruchslose Lokal mit den stapelbaren Stühlen und der grellen Deko. Die nicht mehr ganz jungen, leicht verbrauchten Gäste, die sich je nach Fähigkeit und Kasse fein gemacht hatten. Und dieses wunderbare Brautpaar mit dem Strahlenkranz aus Liebe, den man fast mit Händen greifen konnte. So ist das Leben, dachte Yvonne beschwipst und sentimental und lehnte ihre Stirn an die rasierwasserduftende Schulter des Lastwagenfahrers. Einfach so, nicht mehr und nicht weniger. Als sie gegen Morgen in ihr Bett kroch – sie hatte es für sich allein, Jörgen feierte mit Freunden, sie wußte nicht mal, wo –, fühlte sie sich glücklich und lebensklug. Sie glitt in einen erotisch gefärbten Traum mit jemandem, der vielleicht Brummifahrer war oder Bernhard oder eine Mischung aus beiden. Sie drückte sich an ihn und sagte, sie sei einsam und hungrig. Er versprach, ihr etwas zu holen, und hielt das Glas mit den Ingwerbirnen in die Höhe. Die Birnenhälften glitten langsam im Saft umher, rieben sich aneinander, mit ihren rundlichen Formen und dem blassen, weichen Fleisch. »Das will ich nicht haben«, wollte Yvonne sagen, aber sie brachte keinen Ton heraus und wußte, sie konnte nicht ablehnen.
Plötzlich hörte sie ein schwaches, aber deutliches Zischen im Glas, wie von einer Schlange. Ein Strahl aus dicker, roter Flüssigkeit schoß wie ein Unterwassergeysir zwischen den Früchten hervor. Er verteilte sich in immer feiner werdenden Fetzen in der gelblichen Flüssigkeit, löste sich schließlich in Rauch auf und färbte alles rostrot.
Sie wachte auf, ihr Herz klopfte vor Angst, sie war immer noch allein im großen Bett. Sie ging auf die Toilette, wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um den unangenehmen Traum wegzuspülen.
Aber es half nicht. Sobald sie den Kopf aufs Kissen gelegt hatte, ging es wieder los, sie sank in einen Schlaf, der dicht und schwer von Träumen war, noch merkwürdiger und unangenehmer als der vorige. Es war, als sei sie in eine riesige Maschine geraten, in der sie gegen ihren Willen zwischen Kammern voller Angst,
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