Sauberer Abgang
Natürlich. Sie sah jedes Staubflöckchen und jeden Fettfleck und war es gewohnt, daß die Kloschüssel fabrikneu aussah. Das legt man nicht mehr ab, nach all den Jahren, aber Henry hatte es irritiert, daß sie auch in seiner Wohnung mit dem Ärmel über das Polster fuhr, bevor sie sich in den Sessel fallen ließ. Henry hatte ihr Wotan geschenkt, als sie sich trennten. Die Begründung war typisch Henry – »nur ein Hund ist ergeben genug für dich« –, aber Wotan hatte sie ihm nie vergessen.
Deitmer machte den scharfen, Gieseking den lieben Bullen. Die Angelegenheit dauerte eineinhalb Stunden, weil insbesondere Deitmer sich Mühe gab, jede Frage an sie in möglichst vielen Varianten zu wiederholen. Dalia rettete sich in die Vorstellung, daß die beiden sich beim täglichen Bohren dicker Bretter entsetzlich langweilten.
»Sie haben also bei der Firma Neuwirth GmbH und Co KG geputzt. In Bramsche. Mindener Straße 132.«
Ja. Natürlich. Das alles war aktenkundig.
»Sie werden beschuldigt, den Prokuristen der Firma, Herrn Herbert Sager, verleumdet und erpreßt zu haben.«
Bramsche hatte sie selbst verbockt. Sie hatte den Prokuristen falsch eingeschätzt – der stand lieber zu seinen kleinen Betrügereien, als sein Scherflein zu ihrem künftigen Lebensunterhalt beizutragen, wie andere anständige Männer es vor und nach ihm taten.
»Kommen Sie, Dalia, das ist doch nicht das erste und einzige Mal gewesen, oder?«
Dalia? Was nahm der Kerl sich heraus? Dalia senkte den Kopf und versuchte, sich ihre Wut nicht anmerken zu lassen. Immer schön schüchtern und unterwürfig bleiben.
Gieseking verlas eine erstaunlich komplette Liste der Putzstellen, die sie in den letzten fünf Jahren angetreten und genutzt hatte.
Sie leugnete alles. Sie weinte ein bißchen. Sie zeigte für Bramsche Reue, Reue und nochmals Reue.
»Haben Sie vielleicht …«
Jetzt kam die Frage nach Marcus Saitz. Aber sie war ja noch gar nicht so weit gewesen, ihm die Daumenschrauben anzulegen. Dalia bestritt auch nur die Absicht oder gar den Versuch.
Endlich gaben die Bullen auf. Ihr zitterten die Knie, als sie den Konferenzraum verließ, jovial begleitet von den beiden Männern, die ihr zur Auflage machten, den ermittelnden Behörden auch weiterhin zur Verfügung zu stehen. Sie waren ihr auf der Spur, so viel war klar. Und einfach abhauen ging auch nicht, kein Gedanke daran, ihre Siebensachen zu packen, Wotan an die Leine zu nehmen und den Ort zu wechseln.
Für ein paar Sekunden hatte sie Angst – ein Gefühl, das sie sich eigentlich schon vor Jahren abgewöhnt hatte.
Johanna Maurer trug nicht zu ihrer Beruhigung bei. Als Dalia Stunden später bei der Pollux Facility Management GmbH vorsprach, begrüßte man sie am Empfang wie immer. Die Sekretärin meldete sie sofort bei der Chefin an, ohne das Gesicht zu verziehen. Und die Chefin selbst lächelte ihr verschwörerisch entgegen.
»Ich habe Sie doch richtig eingeschätzt, Dalia«, sagte sie und hielt ihr die Hand hin, bevor sie ihr den Besuchersessel zurechtrückte.
»Sie werden mir kündigen wollen, ich verstehe das, ich kann auch sofort aufhören, es macht wirklich gar nichts …« Sie verhaspelte sich. Aber sie wollte nur eines: raus hier und nie wieder das Haifischlächeln der Dame da hinter dem Schreibtisch sehen.
»Warum sollte ich Ihnen kündigen? Noch gilt für Sie die Unschuldsvermutung. Danke, Verena.« Die Sekretärin war hereingekommen und stellte das Tablett mit der Teekanne und den beiden Tassen in Reichweite.
»Richtig ist nur, daß Sie im Bankhaus Löwe nicht weiter arbeiten können. Es hat sich bereits herumgesprochen, daß Sie von der Polizei verhört worden sind. Und Sie wissen doch, wie beschränkt manche Weiber sind: Gül und Marija wollen nicht mehr mit Ihnen zusammenarbeiten. Weil Sie Saitz gefunden haben, gelten Sie als vom Tode berührt.«
Johanna Maurer machte eine wegwerfende Handbewegung, sie hielt natürlich gar nichts von abergläubischen Weibern. »Sie wechseln die Schicht. Sie fangen Montag abend woanders an.« Die Maurer machte eine Pause und sah Dalia erwartungsvoll an. Dalia rührte keinen Gesichtsmuskel. »Wollen Sie wissen, wo?«
»Natürlich, Frau Maurer.« Sollte sie vielleicht »Danke, zu gütig« sagen?
»Bei der Staatsanwaltschaft. Da gibt es nichts zu erpressen. Treffpunkt sechs Uhr, Porzellanhofstraße, vor dem Eingang Gebäude C. Dragutin wird Sie einweisen.«
Die Maurer schien noch immer erwartungsvoll zu gucken. Endlich sagte Dalia, was die
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