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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Krokusse und Narzissen und Tulpen, so, als ob sie sichergehen wollte, daß er sich noch an sie erinnerte, wenn es sie nicht mehr gab.
    Dorothea Saitz hielt bis zu den ersten Narzissen durch. Der Anruf kam, als er nicht zu Hause war. Den Anrufbeantworter hörte er erst am nächsten Morgen ab, da lebte sie schon nicht mehr. Im Garten röteten sich die Spitzen der Tulpen.
    Danach sah er die Welt nur noch in Schwarzweiß. Bis Will Bastian kam. Als Will ihn im Sommer das erste Mal mit an den Baggersee nahm, war Marcus’ Haut bis zum Hals weiß wie ein Kinderarsch. Am Abend hatte er einen Sonnenbrand. Und eine neue Familie. Julius, der Kopf. Michel, das Gefühl. Max, die Empfindsamkeit. Will, das Herz, das er unter Melancholie zu verstecken versuchte.
    »Ihr seid meine Familie«, sagte er irgendwann, als er schon ziemlich viel getrunken hatte. Er meinte das bitterernst. Seiner Familie ist man treu bis in den Tod.
     

ABER EINES ABENDS
WIRD EIN GESCHREI SEIN
AM HAFEN
     

1
    »Die Kohlrouladen sind gut hier«, sagte Karl Bastian und schmatzte voller Vorfreude. Will konnte gerade noch ein Schaudern unterdrücken. Das Kaufhausrestaurant, bildete er sich ein, roch nach Königsberger Klopsen und 4711, nach Mottenkugeln in den Wintermanteltaschen und Taft Extrastark. Hier sahen 70jährige auch so aus. Der einzige Jüngere hieß Will Bastian, der »Nichts wie weg« dachte, kaum war er seinem Vater hierhin gefolgt.
    Mit Ekel betrachtete er das senfbraune Tablett, das Karl ihm in die Hand drückte. Dennoch trottete er ihm hinterher, der wie ein witternder Fuchs an den Vitrinen vorbeistrich, in denen Kartoffelsalat in Remouladensauce braune Ränder ansetzte. Wie kam man mit Anstand hier wieder raus? Nur ohne. Die einsamen Damen mit den aufgeplüschten Haaren und die schweigenden Paare mit den schlechtsitzenden Gebissen hatten es nicht verdient, daß ein urbaner Loser wie er sich über ihr Geschick und ihren Geschmack erhob.
    Resigniert fischte er sich eine Art Salat aus der Vitrine, während der Alte die Frau hinter dem Tresen beschwatzte, ihm ein gigantisches Schnitzel mit einer Extraportion zerkocht wirkendem Gemüse auf den Teller zu tun.
    »Davon kriegste nix auf die Rippen«, kommentierte Karl das Gesundheitsessen seines Sohnes und ließ sich ihm gegenüber an einem Tisch nieder, der klebrig aussah und auf dem ein Topf mit einer Art Katzengras vor sich hin welkte. Man hatte hier einen Hang zu Gummibäumen und falschem Buchs und zu aufgesetztem südländischen Flair.
    Will antwortete nicht. Er war ja selbst schuld. Sein Vater konnte im Grunde nicht kochen, und Will, der Mann, der in Veras Küche den Ruf eines abgefeimten Meisterkochs genossen hatte, wollte nicht kochen. Nicht in dieser Küche. Nicht in der Küche seiner Eltern, in der kein Messer scharf war und keine Pfanne brauchbar, in der die Hitze des Gas-Backofens nicht mehr regulierbar und der große Brenner gleich ganz ausgefallen war.
    »Ich geh immer ins Kaufhaus«, hatte Karl fröhlich gesagt, als sich die Frage nach einer gewissen Grundernährung stellte. Will hatte in einem Anfall von Neugier ja gesagt. Das hatte er nun davon. Ein Trost jedenfalls blieb ihm: Wenn er lediglich seinem Vater die Treue hielt, würden ihm eheliche Szenen wie die am Nebentisch erspart bleiben.
    »Hast du an Besteck gedacht?« Frau an Mann. Der grunzte zur Antwort, erhob sich schwerfällig und holte sich welches.
    »Beklecker dich nicht wieder.« Frau an Mann, dem vor Schreck über ihre scharfe Stimme das Stückchen Putengulasch von der Gabel rutschte und in die Sauce auf dem Teller klatschte.
    »Deine Pillen.« Frau an Mann, lauter. »Nun trink doch was dazu.« Der Mann grunzte wieder.
    Will wäre am liebsten aufgestanden, hätte sich vor den griesgrämig kauenden Alten postiert und »Schluß mit der Erniedrigung und Beleidigung wehrloser älterer Herren!« gerufen.
    »Willi! Was starrst du denn so?« Karl blickte ihn tadelnd an. »Das macht man nicht.«
    Natürlich nicht. Hier hatten alle klappernde Gebisse und zitternde Hände. Will versuchte sich seiner abfälligen Gedanken zu schämen und spießte zwei angetrocknete Gurkenscheiben auf die Gabel.
    Sein Vater putzte in Windeseile den Teller leer, beäugte mißbilligend die Reste von Wills Salatsammlung und zeigte ihm dann, wie man das Tablett korrekt entsorgte.
    »Was ist? Kommst du mit?«
    Will nickte ergeben. Sein Vater hatte ihm auf dem Weg hierhin eine Strategie erläutert, die das Raffinement des ehemals leitenden Angestellten

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