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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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eines großen Bauunternehmens mit der Sparsamkeit eines Sozialhilfeempfängers vermählte: Er machte sich jede Woche mit den Sonderangeboten der Supermärkte und Kaufhäuser vertraut, merkte vor, welche Hose oder welcher Pullover ihn reizte, und wartete dann auf den Zeitpunkt, an dem die eh schon verbilligte Ware ein weiteres Mal herabgesetzt wurde.
    »Aber dann!« sagte er mit leuchtenden Augen.
    Will hatte mit einer Mischung aus Entsetzen und Bewunderung beobachtet, wie gezielt sein Vater morgens die Zeitung und die Postwurfsendungen analysierte, insbesondere die bunten Beilagen, wo »alles schweinebillig« war. Zu »Hammerpreisen«. »Jeder Preis ein Sonderangebot«. »Nimm vier – zahl drei«. »Geht nicht, gibt’s nicht«. Karl Bastian wußte hundertprozentig, wo was gerade am günstigsten zu haben war – aus sportlichen Gründen, nicht etwa, weil seine Rente mehr nicht hergab. Zumal er auch noch eine stattliche Witwerpension erhielt, Marga war, als Lehrerin, schließlich Beamtin gewesen.
    Nimm dir ein Beispiel, hatte Will sich gesagt. Spar dich reich! Aber ihm fehlten Talent und Neigung dazu. Noch langte sein Geld für die nächsten drei Monate – und bevor er von der Altersversorgung seines Vaters leben mußte, würde ihm schon was einfallen. Und wenn es Straßenmusik wäre.
    Sein Magen murrte, während er seinem Vater die Rolltreppen hinunter folgte. Dies war nicht der Kosmos, in dem er sich länger als nötig aufhalten wollte. Zu seiner Erleichterung war die Windjacke bereits weg, auf die der Alte spekuliert hatte, man konnte also endlich raus aus diesem Einkaufsparadies, in dessen viel zu warmer Luft es nach Mensch roch, nach zu viel davon.
    Als sie aus den Kaufhaustüren traten, schien eine kräftige Aprilsonne. Der Wind blies ihnen die senfverschmierten Pappteller vom Würstchenstand entgegen, während sie über die Zeil schlenderten. Karl grüßte mal hierhin, mal dorthin, als ob die größte Einkaufsmeile Deutschlands die Hauptstraße von Kleinkleckersdorf wäre. »Dem gehörte mal die Tankstelle an der Eschersheimer«, sagte er, oder: »Das ist der Seniorchef vom Schuhgeschäft Balthus, da sind wir früher immer hingegangen, du auch, erinnerst du dich noch?« Heute befand sich dort ein Laden mit Teenagermode, einer von viel zu vielen.
    Will erinnerte sich nicht; er wollte sich nicht erinnern. Das war schließlich der große Vorteil der Großstadt: ihre Anonymität. Ihre Wandelbarkeit. Nichts war sicher, alles in Bewegung.
    Heute wurde wieder abgerissen, was noch in den 60er Jahren als Höhepunkt der Baukunst galt. Und wenn man Glück hat, dachte Will, würde man auch den Abbruch des selbstverliebten Architektentraums noch erleben, der an dessen Stelle entstehen sollte. Weshalb es nur konsequent war, daß man das Thurn-und-Taxis-Palais in Frankfurts Mitte rekonstruieren wollte, das nach dem Krieg abgerissen worden war, um Platz für das Neue zu schaffen, das heute als veraltet galt. So war Frankfurt.
    Nein, er suchte nicht nach Wärme und Heimat – oder jedenfalls nicht hier. Frankfurt war die Stadt, aus der man sich am bequemsten entfernen konnte, weil nichts einen hielt. Deshalb konnte man ja auch bleiben. So wie er, der, wenn er nicht aufpaßte, zum Urgestein mutieren würde, wie schon Karl eines war.
    Der Alte bot ihm großzügig an, ihn ins Museum für moderne Kunst einzuladen. Karl kam selbstverständlich kostenlos rein, ein Seniorenprivileg, dessen tieferer Grund Will entfallen war. Altersarmut konnte es jedenfalls nicht sein. Aber Will lotste den Alten zum Bauernmarkt auf der Konstablerwache.
    Die triste Freifläche östlich vom Stadtkern, umgeben von einer eher charakterlosen Kaufhausarchitektur, für die Karl Bastian sich schamloserweise ebenfalls verantwortlich erklärte, wurde zweimal in der Woche zu einem der lebendigsten Orte, die Frankfurt aufzuweisen hatte. Früher hatte Will hier regelmäßig eingekauft, früher, als er noch kochte – so lange war das gar nicht her. Entsagungsvoll grüßte er den blonden Schäfer von der Herbertsmühle, die machten einen großartigen Ziegencamembert. Fast hätte er den Käse wieder dort gekauft, für heute abend, aber Karl bevorzugte ein gutes Stück Leerdammer aus dem HL. Und das war schließlich billiger.
    Als sie beim Vogelsbergbauern angelangt waren, dem Stand mit den besten Bratwürsten des Marktes, ließ der Alte sich nicht lange nötigen. Da ging immer noch was rein in die Figur, sogar nach dem Riesenschnitzel im Kaufhausrestaurant.
    Und

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