Sauberer Abgang
merkte, daß es um alles andere ging als um die kleinen Erpressereien einer Putze aus Dietzenbach.
Es ging um Frauen aus Lettland … aus Litauen … aus der Ukraine. Um Schlepper. Um sexuelle Nötigung. Und um Löhne von schlappen 700 Euro im Monat. Dalia blätterte weiter. Sie erkannte die Namen der Konkurrenten von Johanna Maurer, aber Pollux war nicht dabei. Es beruhigte sie. Andererseits wäre ihr wahrscheinlich schon längst aufgefallen, wenn die Maurer Illegale beschäftigte. Sie bezahlte immerhin Tariflohn und war zwar eine unangenehme Type – aber das ist noch nicht kriminell. Dalia lächelte unfroh und blätterte weiter.
Es wurde offenbar auch gegen Hotelmanager ermittelt, die von Reinigungsunternehmen Schmiergelder verlangten für den Zuschlag bei lukrativen Putzaufträgen. Dalia ertappte sich dabei, wie sie den Kopf schüttelte, während sie weiterlas. Wenn Johanna Maurer keine Illegalen beschäftigte, konnte sie mit den Dumpingpreisen nicht mithalten, die andere Unternehmen anboten. Also … Sie erinnerte sich, die Maurer einmal auf dem Weg zum Geschäftsführer des Bankhauses Löwe gesehen zu haben, mit einer Mappe unterm Arm. Hatte auch sie Schmiergelder gezahlt, damit sie den Putzauftrag behielt?
Als die Tür aufging, hätte sie fast den Stapel auf dem Schreibtisch ins Rutschen gebracht. Sie stützte sich mit dem linken Unterarm auf das fragile Gebilde und versuchte mit der rechten Hand, die Ordner wieder geradezurücken.
»Noch nicht fertig?« Die Maurer stand in der Tür.
»Der Schreibtisch …« Dalia machte eine hilflose Geste.
»Lassen Sie den Sauhaufen so liegen und kümmern Sie sich um den Rest«, sagte Johanna Maurer knapp und zog die Tür wieder hinter sich zu.
Dalia wischte Staub, brachte die Waschgelegenheit auf Hochglanz und saugte den Fußboden. Dann verließ sie den Raum. Auf dem Türschild ein Zimmer weiter stand »StA Thomas Czernowitz«. Sie öffnete die Tür und trat ein.
Ein hübscherer Kontrast war nicht vorstellbar. Der Schreibtisch war aufgeräumt, der Terminkalender lag auf Kante und die Kaffeetasse schien bereits abgewaschen worden zu sein. Der PC war offenbar ausgeschaltet. Sie trat näher. Unter dem Monitor das übliche: Fotos. Aber die paßten nicht zu ihrer Vorstellung von einem braven Staatsdiener – das Foto einer teuer ausgestatteten Frau vor einem Haus, das luxuriös zu nennen eine Untertreibung war. Daneben das Foto eines braungebrannten Mannes vor einem Auto, das ebenfalls nach Kohle aussah. Dalia vermutete, daß es sich um den Staatsanwalt selbst handelte, der mit seinen Statussymbolen angab.
Thomas Czernowitz weckte ihr Interesse. Wer so viel Reichtum vorzeigte, lohnte sich – zum einen, weil er etwas hatte. Und zum anderen … Sie öffnete die Schreibtischschublade und durchblätterte vorsichtig den Stapel Papier, der darin lag. Alles ordentlich. Nur eines war nicht ordentlich: die Finanzen des Staatsanwaltes. Fast hätte sie gepfiffen, als sie den Brief durchlas. Dieser hier hatte, wenn sie das alles richtig interpretierte, nichts mehr. Nein: Er hatte weniger als nichts. Aber auch daraus konnte man noch etwas machen. Wer auf so großem Fuß lebte, obwohl er pleite war, hatte Interesse daran, daß niemand davon erfuhr.
Also Thomas Czernowitz, dachte Dalia und lächelte. Die Zeit für einen anständigen Beruf war noch nicht gekommen.
3
Draußen regnete es. Will versuchte sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, der er schon seit Tagen auswich. »Wenn du unbedingt weiter aufräumen willst, dann guck mal in den Schrank im Wohnzimmer, Willi«, hatte sein Vater gestern nach dem Frühstück gesagt. Will hatte das Gefühl, diese Szene schon einmal erlebt zu haben – mit Vera, die ihm eine Aufgabe nach der anderen zuschob, weil er, wie sie annahm, ja sowieso nichts Besseres zu tun hatte. Das schien auch sein Vater vorauszusetzen. »Die Unterlagen deiner Mutter werden dich vielleicht interessieren. Und dann nimm dir meinen Kleiderschrank vor, da hängen noch ihre Sachen.«
An den Kleiderschrank seiner Eltern hatte er sich gestern schon gewagt. Es roch nach den Anzügen seines Vaters, in denen Zigarettenrauch hing und Essensdunst. Will war froh, daß ihm nicht der Duft seiner Mutter entgegenströmte. Schlimm genug, daß er sich an die Kostüme erinnerte, die sie immer trug, wenn sie zur Schule ging. Sie hielt nichts von Jeans und Pullovern, die jüngere Kolleginnen bevorzugten: »Ich bin ihre Lehrerin, nicht ihr Kumpel.«
Will hatte den Kleiderschrank gleich
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