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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Frühstück gesessen, in seiner Wohnung. Er hatte die Zeitung geholt und die Post, und als er die Zeitung auf den Tisch legte, war eine Postkarte herausgefallen. Sie hatte nicht spionieren wollen. Aber sie konnte gar nicht anders als sie lesen. »Liebster …«, fing sie an.
    Er hatte ihr die Karte aus der Hand genommen. »Ines. Die Gute«, hatte er leichthin gesagt. »Eine uralte Freundin.«
    Eifersucht macht häßlich.
    Karen leerte das Glas und ging hinüber in ihr Arbeitszimmer. Und das einzige, was gegen Liebeskummer hilft, ist Arbeit.
    Aber sie konnte sich auf nichts konzentrieren. Irgendwie hing alles mit der einen, der einzigen Frage zusammen: Was macht die Liebe aus den Menschen? Thomas Czernowitz, zum Beispiel. Wenn es stimmte, daß er sich von seinem Freund Marcus Saitz Geld beschaffen ließ … Sie wußte, daß er im Börsencrash des Jahres 2000 reichlich Geld in den Sand gesetzt hatte. Sie wußte, daß seine Frau unersättlich war. Sie fand sie noch nicht einmal schön. Aber ein Mann wie Czerno schien alles aufs Spiel zu setzen, nur, damit eine anämische Blondine ihn nicht anschmollte.
    Was will der Mann? Sie stellte sich die Frage nicht zum ersten Mal. Ein Abziehbild oder eine Verbündete?
    Sie griff zum Schreibblock und zum Filzstift und begann ein Spiel, das ihr noch immer geholfen hatte, den Kopf klar zu kriegen. Hier, in diesem Kringel, stand Thomas Czernowitz, dort seine Frau, hier Marcus Saitz. Nach einer halben Stunde machte sie sich ernsthaft Sorgen um Che. Und um die Reputation der Frankfurter Staatsanwaltschaft.
    Und die ging sie etwas an. Die Liebe konnte man nicht erzwingen. Aber der Beruf war ihr Leben.

5
    »Carpe Diem«. Bestimmt war der Name witzig gemeint, und wenigstens hieß die Kneipe nicht »Zur letzten Instanz«, dachte Will, als er den Raum betrat. Viel Holz, viel schwarzes Leder, weiches Licht, dezente Loungemusik. Jedenfalls setzte der Name auf ein akademisches oder wenigstens gebildetes Publikum, womöglich auf all die armen Staatsanwälte, die bis acht, neun Uhr abends über Akten gebeugt in ihren Kämmerchen sitzen, bis sie fast erblindet sind, und auf die niemand zu Hause mit einem Abendessen wartet.
    Will Bastian setzte sich an einen freien Tisch am Fenster, nachdem er dem Barkeeper zugelächelt hatte. Am Nachbartisch saß ein älteres Pärchen und hielt Hand – aber was hieß schon älter? Die beiden waren etwa so alt wie er. Und frisch verliebt. Oder – immer noch?
    Will fragte sich nicht zum ersten Mal, wie wohl andere Menschen lebten und liebten. Leute, die anders waren als er, die Kinder hatten, Verantwortung übernahmen. Und nicht wegliefen, ein Vorwurf, den Vera ihm immer wieder gemacht hatte. Wie wäre sein Leben verlaufen, wenn er seine erste Freundin geheiratet hätte? Sie waren beide 18 gewesen, damals. Er war ihr erster Mann und sie seine erste Frau. Sie hätten zusammenbleiben können, Kinder kriegen, gemeinsam etwas aufbauen. Hätten sie sich satt, nach fast dreißig Jahren? Oder würden sie in der Gewißheit zusammen leben, daß nichts Besseres mehr kommt?
    Will bestellte ein Bier, blickte aus dem Fenster den Passanten nach, versank in seinen Gedanken und wurde erst unruhig, als Thomas auch nach einer Stunde noch nicht erschienen war. Es waren nur ein paar Schritte vom »Carpe Diem« zu den Justizgebäuden, Thomas hatte es also nicht weit. Möglich, daß er aufgehalten worden war. Will ging vor die Tür und rief ihn an. Nach sechsmaligem Klingeln wurde der Anruf offenbar an den Pförtner weitergeleitet.
    »Herr Czernowitz? Zimmer C 129 … Der ist bei mir noch nicht vorbeigekommen. Der müßte noch da sein«, meinte eine interesselose Stimme.
    »Aber er geht nicht an den Apparat.«
    »Dann ist er vielleicht mal – na, Sie wissen schon.« Der Mann am Telefon lachte auch noch.
    Will ging zurück und bestellte ein zweites Pils. Thomas war immer schon unzuverlässig gewesen. Oder – hatte man sich womöglich doch in Thomas’ Büro verabredet? Alzheimer, dachte Will. Du hast ein Hirn wie Harzer Roller. Er trank aus, zahlte und ging. Das Wetter war umgeschlagen, vorhin hatte es geschneit, jetzt drisselte Graupel auf den feucht glänzenden Asphalt. Will hob die Schultern und stemmte sich in den nassen Wind.
    Das Gerichtsgebäude war auf fast allen Fluren erleuchtet. Als sich eine Seitentür öffnete, aus der ein Mann einen Müllsack zog, schlüpfte er, dankbar für die Abkürzung, hinein und nahm die Treppe hoch zum ersten Stock. Oben wäre er fast mit einer

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