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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Transistorradio hatte, und strahlte. 100000 also hatten sich aufgemacht an diesem 28. Februar 1981, bei klirrender Kälte, um sich auf einer Baustelle in trostloser Einöde zu treffen. Wahnsinn, dachte Thomas.
    Jetzt fuhren die Busse so langsam, daß man während der Fahrt aussteigen und nebenherlaufen konnte. Erst stellten sich die Männer an den Straßenrand, um zu pinkeln. Dann hockten plötzlich die Frauen mit nackten Ärschen in der flachen Marschlandschaft, in der es weder Baum noch Strauch gab. Was für ein Anblick! Thomas nahm Vreni noch fester in den Arm.
    Dann ging es nicht mehr weiter. »Alles aussteigen«, rief der Busfahrer, der aussah, als ob er ihnen Frostbeulen an den Hals wünschte.
    Am liebsten wäre Thomas Czernowitz im Bus geblieben, mit Vreni und Gabi und Hans und den anderen, aber alles zog die Mäntel an, griff sich die Rucksäcke und strömte hinaus in die brutal kalte Luft, die selbst der strahlende Sonnenschein nicht erwärmte. Wie die Hasen hoppelten sie über Feldwege und verharschte Wiesen. Nicht mein Ding, dachte Thomas, half Vreni über Weidezäune und vereiste Gräben und hielt sie nach jedem Sprung länger im Arm als unbedingt nötig.
    Je näher sie kamen, desto lauter kreisten die Hubschrauber über ihnen. Von ferne hörte man Trillerpfeifen und Sprechchöre, ein Feuerwerk aus Silvesterraketen und Signalpistolen zuckte über den Himmel und Vreni und Gabi und ein paar andere riefen »Atomkraft nein danke«. Thomas war durchgefroren, und er fragte sich langsam, wie sie eigentlich zurückkommen sollten aus dieser gottverlassenen Gegend. Er wußte jetzt schon nicht mehr, wo ihr Bus stand und ob der Busfahrer überhaupt auf sie wartete.
    Und wo war denn nun die Baustelle dieses blödsinnigen Atomkraftwerks?
    In das Geknatter der Hubschrauber und den etwas dünnen Sprechchor mischte sich plötzlich ein seltsamer melancholischer Laut, wie die Sirene einer alter Dampflok klang das, ein Sehnsuchtston, der Thomas frösteln ließ. Er blieb stehen und sah sich um.
    »Da vorne!« Vreni stieß ihn in die Seite. Die Strahlen der kalten Sonne trafen auf etwas Goldglänzendes, das Blitze zurücksandte, weshalb Thomas nicht gleich erkannte, was die Gruppe von Demonstranten weit vor ihnen mit sich trug. Dem einen melancholischen Ton gesellte sich ein anderer hinzu, ein tiefer, röhrender Huster. Als ob ein Riese rülpst. Und dann drang ein satter Bläsersound zu ihnen herüber. Vreni und Gabi begannen zu laufen, die Männer sahen sich an, als ob sie ihre Weiber für verrückt hielten, und liefen hinterher.
    Es waren mehr als zehn Personen, Männer überwiegend, die ihre Blasinstrumente in den kalten Wind hielten und ein Stück spielten, das Thomas kannte von der Platte, die Vreni auflegte, wenn sie in kämpferischer Stimmung war. Der Mann mit der Tuba beeindruckte ihn. Das Gerät mußte ganz schön schwer sein. Unten, am Knie des großen Blasinstruments, hatten sich Eiszapfen gebildet. Der Mann trug Handschuhe, von denen die Fingerspitzen abgeschnitten waren, so wie all die anderen mit den Saxophonen, Posaunen, Trompeten und Querflöten.
    Es machte sogar ihm Spaß, hinter dem Trupp herzulaufen, wie die Kinder hinter dem Rattenfänger, obwohl er nicht den Eindruck hatte, daß sie dem Bauzaun näher kamen. Irgendwann – es mußte weit nach Mittag sein, Vreni klagte über die Kälte, und er hatte Hunger – flutete die Menschenmenge vor ihnen zurück. Jetzt mußten sie umkehren und zurücklaufen, um nicht niedergerissen zu werden von den Fliehenden, von denen einige klatschnaß geworden waren.
    Wasserwerfer. In dieser Kälte.
    Ihr kleiner Trupp lief mit der Stampede durchnäßter und verstörter Demonstranten, bis irgendeiner »Hier geht’s lang!« rief und sie sich einem kleineren Verband anschlossen. Wieder ging es im Stolperschritt über verharschte Wiesen und vereiste Feldwege. Vreni fing an zu weinen. Und Thomas wußte mit eisiger Klarheit, daß sie ihren Bus nicht wiederfinden würden. Er hatte blödsinnigerweise einen Schal und ein Buch auf dem Sitz liegengelassen.
    Gegen Abend erreichten sie ein Dorf, »Kleinarentsee« stand auf dem Schild am Dorfeingang. Das Dorf war menschenleer, und eine Kneipe gab es bestimmt auch nicht. Alle lachten hysterisch, als sie ein Haus entdeckten, bei dem die Fensterläden noch nicht fest verschlossen waren. Im Lichtschein sahen sie eine junge Frau mit zwei Kindern am Küchentisch sitzen und Kartoffeln schälen. Weil Vreni so schön betteln konnte, chauffierte die

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