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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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erste Liebe. Die endet immer tragisch.
    »Und? Klappt’s?«
    Will hatte seinen Vater nicht bemerkt, der ihm über die Schulter schaute und nach Schlaf roch.
    »Bist du im Netz?«
    »Weiß noch nicht.« Will sah auf. »Willst du auch?«
    Das Strahlen in Karls Gesicht verwunderte ihn. »Wenn ich darf?« sagte der Alte.
    Wenn du kannst, dachte Will. Und wenn es geht. Er rief Firefox auf und starrte ungläubig auf den Bildschirm. Mit allem hatte er gerechnet – aber nicht damit, daß es funktionierte.
    Er überließ seinem Vater den Stuhl vor dem Notebook. Karls Finger flogen über die Tastatur. Will wollte sich gerade wundern über die Zielstrebigkeit, mit der sich der Alte über den Computer hermachte, als das Handy klingelte. Thomas Czernowitz war dran.
    Seltsam. Er ließ sich aufs Bett fallen. Es war nach acht Uhr abends, da rief man nicht mehr an als erwachsener Mensch. Da saß man beim Essen. Oder mit der Gattin vorm Fernseher. Die Zeiten waren längst vorüber, als man einander noch nach Mitternacht anrufen konnte, wenn man Liebeskummer hatte oder Probleme beim Job. Wann fing das an, daß sich seine Bekannten plötzlich so verhielten, wie es seine Eltern immer gepredigt hatten – Ruhe ist nach 20 Uhr die vornehmste Bürgerpflicht?
    Als die ersten Kinder kamen, vermutete Will. Als die alten Freunde und Kollegen nicht mehr in die Kneipe konnten, weil sie die Kleinen zu hüten hatten, die Ehefrau besuchte eine Fortbildung oder war mit ihren Freundinnen verabredet. Und wenn sie dann einliefen, hatten sie schon gegen elf Uhr dicke Augen und gähnten – »Sarah weckt uns jeden morgen um fünf, du weißt ja«.
    »Thomas! Was ist los?«
    »Tut mir leid, daß ich dich störe, so spät noch.«
    Aber mich doch nicht, hätte Will fast gesagt. Ich habe keine Kinder und keine Gattin und noch nicht einmal einen eigenen Fernseher.
    »Ich würde gerne mit dir reden.« Czerno klang erstaunlich hilflos.
    »Wann immer, wo immer«, sagte Will und kam sich großmütig vor.
    Thomas lachte, verschluckte sich und sagte heiser »Danke.«
    Die Midlife-crisis, dachte Will. Es trifft jeden.
    Er hörte ein Geräusch, als ob jemand Thomas’ Zimmer betrat. Che mußte die Hand auf den Hörer gelegt haben, denn er hörte nur ein gedämpftes »Ach, du bist es! Moment, ich telefoniere noch.«
    Dann war Thomas wieder dran, er hatte plötzlich ein Lächeln in der Stimme. Sie verabredeten sich für morgen, 19 Uhr, im »Carpe Diem«, einer Kneipe in der Klingerstraße gegenüber vom alten Gerichtsgebäude, einem wilhelminischen Kasten aus Klinkern und Sandstein. Will legte das Handy beiseite und starrte an die Decke, die langsam zu seiner Lieblingsaussicht zu werden schien. Thomas hatte fast wieder so wie damals geklungen, viel weicher und weniger selbstgewiß – und ohne auch nur einen seiner dummen Witze zu machen. Wurde man so, mit dem Älterwerden? So nachgiebig, so durchlässig, so verletzbar?
    Will seufzte auf. Irgend etwas mußte man doch haben vom Älterwerden außer Falten und Kraftlosigkeit, wenigstens ein bißchen Altersweisheit, Gelassenheit, inneres Gleichgewicht. Statt dessen plagten ihn immer noch die Selbstzweifel. Sogar Thomas hatte am Telefon verloren wie ein Erstsemester geklungen, ein Mann, der immerhin ein erfolgreiches Berufsleben vorweisen konnte, im Unterschied zu ihm.
    Oder hatte ihn der Tod von Marcus so erschüttert? Das Leben ist endlich, dachte Will. Aber laß es nicht zu früh sein.
    Er hörte Karl zufrieden brummen. Der alte Herr guckte lächelnd auf den Bildschirm des Notebooks, bewegte die Maus und drückte die Tasten mit Feingefühl und sichtbarer Könnerschaft.
    Mein Vater, dachte Will. Ein Rätsel.

4
    Sie ging jeden Abend zuerst auf den Balkon. Und jeden Abend stellte Karen Stark fest, daß nur noch die Schalen von den Erdnüssen übrig waren, die sie morgens in einen großen Blumenuntersetzer gelegt hatte. Nur die Tiere selbst ließen sich nicht mehr blicken, seit jenem Morgen, an dem sie der Anruf von Niels Keller vertrieben hatte. Auch das nahm sie ihm persönlich übel.
    Sie zupfte gedankenverloren die Vogelmiere aus dem Blumenkasten, in den sie lila Petunien gesetzt hatte, eine Farbe, die sie eigentlich nicht mochte. Aber die Petunien dufteten, und sie hatte keine Zeit gehabt, sich nach ästhetischen Kriterien zu richten bei ihren wenigen Streifzügen über den Frankfurter Bauernmarkt. Und Gunter hatte sie schön gefunden. Aber fand er nicht alles schön, schon um gute Stimmung zu machen?
    Jedenfalls waren

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