Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
Jahrhundert über die Frage »Geburt mit oder ohne Betäubung« geführt wurde. Einige Diskutanten waren der Ansicht, die Gabe schmerzstillender Mittel verstoße gegen das Gebot Gottes, das da lautet: »Unter Schmerzen wirst du deine Kinder gebären.«
Heutzutage ist der Schmerz in unserem Leben weniger präsent, doch noch lange nicht besiegt. 70 Millionen Amerikaner leiden unter chronischen, also mehrere Monate und länger andauernden Schmerzen. Ein Umstand, der die Volkswirtschaft laut einer Studie des National Institutes of Health Pain Research Consortiums jährlich 100 Milliarden Dollar kostet. Gegen chronische Schmerzen haben wir das richtige Mittel noch nicht gefunden. Es gibt zwar einige hochwirksame Medikamente – doch die machen in der Regel süchtig.
Die Lektüre der ganzen Studien und Artikel zum Thema Schmerz bringt mich nicht zum ersten Mal auf den Gedanken, meinen Körper zu reklamieren und eine Entschädigung zu fordern. Das sollten wir alle tun, denn dieser Haufen Fleisch und Knochen ist sein Geld nicht wert. Zurück damit zum Hersteller!
Damit will ich natürlich nicht abstreiten, dass der menschliche Körper faszinierende Eigenschaften hat. Die hat er, keine Frage. Ich für mein Teil könnte tagelang einfach nur Funktion und Design des Ohrs bewundern. Und wie es einen Haufen Luft in Haydn-Konzerte verwandelt.
Doch der Körper weist auch ein paar ziemlich massive Konstruktionsfehler auf. Wir sind das Ergebnis einer Kombination aus Ad-hoc-Evolution und veralteter Hardware. Und der Schmerz ist eine der ältesten und rigorosesten Komponenten unseres Betriebssystems.
Schmerz ist so … grob. Hätte die Evolution sich nicht etwas Besseres einfallen lassen können, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass wir uns gerade den Zeh gestoßen haben? Irgendetwas anderes als dieses Gefühl, das uns spontan den Tag verfluchen lässt, an dem Mami und Papi sich damals in der Mensa kennengelernt haben? Warum kann der Zeh nicht einfach leise pochen? Oder grün anlaufen? Oder einen Warnlaut von sich geben, etwa eine hübsche kleine Walzermelodie? Ich würde mich bestimmt in Zukunft besser in Acht nehmen, Ehrenwort.
Schmerz ist eine ärgerliche und überflüssige Angelegenheit. Dasselbe wie eine E-Mail, die der Absender ausschließlich in Großbuchstaben geschrieben hat. Oder wie ein Sechsjähriger, der einen alle 15 Sekunden daran erinnert, dass er Affen-Action zum Geburtstag haben will. Ist ja gut, ich hab’s kapiert. Die Nachricht ist angekommen.
Schmerz ist ein rohes, brutales Alarmsystem. Vielleicht brauchten wir es ja früher, als wir noch als Nacktschnecken in der Ursuppe schwammen, um zu bemerken, dass etwas nicht stimmt. Doch inzwischen besitzen wir eine Großhirnrinde, da hat der Schmerz als Warnmethode eigentlich ausgedient.
Ganz zu schweigen davon, dass Schmerz ein geradezu lachhaft unzuverlässiges Alarmsystem ist. Melanie Thernstrom beschreibt dieses Problem mit einem wunderbaren Vergleich: Stellen Sie sich vor, der Schmerz sei ein Wächter auf einem Wachturm. Wenn er Feinde heranrücken sieht, soll er die Glocke schlagen. Doch der Wächter ist »launisch, faul, leicht zu verwirren, ängstlich, ein schlechter Multitasker und manchmal einfach durchgeknallt«. Gelegentlich schlägt er die Glocke ohne jeden Grund. Manchmal läutet er noch, lange nachdem die Feinde aus dem Feld geschlagen sind.
Schmerz kann ohne erkennbare Ursache zuschlagen und sich jahrelang einnisten, manchmal sogar als Phantomschmerz in einem amputierten Gliedmaß. Und er kann sich als regelrechter Sadist erweisen: Selbst wenn die Ursache chronischer Schmerzen gefunden und beseitigt wird, klingen die Schmerzen oft nicht ab. Sondern sie werden sogar noch schlimmer. Schmerz erzeugt Schmerz. Im Laufe der Zeit bildet er solide neuronale Verknüpfungen. Je ausgeprägter sie sind, desto reizempfindlicher reagiert der Körper, desto heftiger sind die Alarmsignale. Das Ganze ist ein sich selbst verstärkender Prozess, der einzig und allein dazu dient, unser Leid zu vergrößern.
Spitz, aber spitzenmäßig
Meine Schulter schmerzt inzwischen so sehr, dass ich alles Mögliche ausprobiere, um mir Linderung zu verschaffen. Unsere Hausärztin hat mir einige physiotherapeutische Übungen gezeigt, die ich jetzt zu Hause mache, mit einem Besenstiel als ultraleichtem Hantelersatz. Bisher ohne Erfolg. Julie massiert mich jeden Abend nach dem Zubettgehen, bevor sie sich in ihre historischen Romane vertieft. Das hilft ein bisschen.
Ich versuche
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