Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
Laufen, Rennen und Seilspringen sind schließlich längst nicht alles. So ziemlich jede vorstellbare Aktivität ist auf den Listen verzeichnet.
Staubsaugen: 238 Kalorien pro Stunde.
Billard spielen: 138 kcal pro Stunde.
Draußen im Steinbackofen Fladenbrot backen: ebenfalls 204 Kalorien pro Stunde.
Wir sitzen auf dem Bett, und ich zeige Julie den Listenausdruck. Sie liest vor:
Sexuelle Aktivität (passiv, geringer Körpereinsatz, Küsse, Umarmungen): 68 Kalorien pro Stunde
Sexuelle Aktivität (allgemein, mäßiger Körpereinsatz): 88 Kalorien pro Stunde
Sexuelle Aktivität (aktiv, hoher Körpereinsatz): 120 Kalorien pro Stunde.
»Mäßiger Körpereinsatz, das klingt doch gut«, sagt Julie.
Ich stimme ihr zu. Wir gehören nicht mehr zum Typus »hoher Körpereinsatz«.
Außerdem, meint sie, können wir ja danach immer noch etwas anderes tun, wenn wir mehr Kalorien verbrauchen wollen. Ein Pferd striegeln zum Beispiel (408 Kalorien die Stunde).
Über den weiteren Verlauf dieser Sportstunde möchte ich an dieser Stelle nicht ins Detail gehen; es möge der Hinweis genügen, dass wir ziemlich weit unterhalb der 60-Minuten-Marke geblieben sind. Sofern man also Fitbits Kalorienverbrauchsangaben Glauben schenkt – mir persönlich scheinen sie ja ein bisschen zu niedrig geschätzt –, haben wir keine 88 Kalorien verbraucht.
Noch trauriger: Im Laufe des darauffolgenden Monats sind Julie und ich allen hochfliegenden Plänen und Dopamin-Steigerungsversuchen und Lakritzstäbchen zum Trotz in der Sexstatistik wieder in unseren unterdurchschnittlichen Gewohnheitsrhythmus abgerutscht. Wir sind einfach nicht motiviert genug. Weshalb ich mir auch auf diesem Sektor professionellen Rat holen möchte. Beschlossen und verkündet: Im Rahmen von Project Health werde ich einen Urologen aufsuchen.
Check-up: Monat 7
Gewicht: 71,7 kg
Blutdruck: 110/70
In diesem Jahr bisher verzehrte Menge Haferschrot: 11 Packungen
Einsatz Lärmschutzkopfhörer (Tagesdurchschnitt): 10 Stunden
Trainingsgewicht an Kniebeugemaschine (15 WH ): 75 kg
In Anlehnung an James Brown kann ich feststellen: I feel moderately good . Jeden Tag schaue ich mir mein digital gealtertes Selbstbild an und versuche, den alten A. J. zu achten. Ich ernähre mich etwas besser. Zwar werde ich immer noch von plötzlichem Heißhunger auf Zucker- und Salzhaltiges heimgesucht, doch die Anfälle werden allmählich schwächer. (Und weil ich mich in Sachen Salz so erfolgreich entwöhnt habe, hat sich mein Geschmackssinn verändert. Er ist empfindlicher geworden. Wenn ich ausnahmsweise schwach werde und einen Kartoffelchip esse, ist der Salzgeschmack schrecklich dominant – als hätte ich einen Salzstreuer auf meine Zunge geleert.)
Im Fitness-Studio versucht Tony, mich so anzutreiben, dass meine Brillengläser beschlagen. »Das war jetzt ein echter Brillenbenebler«, sagt er immer ganz stolz, wenn er mich erfolgreich dazu getriezt hat, 50 Kniebeugen am Stück zu machen.
Darüber hinaus bin ich bemüht – mit bisher mäßigem Erfolg –, meinen Stress in den Griff zu bekommen. Zum Beispiel gönne ich mir jeden Tag eine Selbstmassage. Da gibt’s gar nichts zu grinsen. Studien belegen, dass der Spiegel des Stresshormons Cortisol sinkt, wenn man sich die Schultern reibt. Also massiere ich mich, wenn ich im Bus sitze oder die Zeitung vor mir liegen habe.
Meine Familie allerdings ist Project Health langsam leid. Meine Söhne sind genervt, wenn ich auf Kindergeburtstagen keine Cupcakes mit ihnen esse, sondern stattdessen ein paar mitgebrachte rohe Karotten knabbere. Andauernd fragen sie mich, warum ich eigentlich so viel Wert darauf lege, gesund zu sein.
»Ich möchte eben nicht krank werden«, erkläre ich ihnen eines Tages, während ich meine Hafergrütze löffele. »Damit ich noch ganz ganz lange bei euch bleiben kann.«
»Damit du nicht stirbst?«, fragt Lucas.
»Genau. Damit ich nicht sterbe.«
Bisher habe ich dieses Verb im Umgang mit ihnen vermieden. Doch die Kinder sprechen es unumwunden aus. Unsere Jungs wissen durchaus um den Tod. Die Zwillinge beenden ihre Geschichten grundsätzlich mit demselben Satz: »Und dann sind alle gestorben. Ende.«
Dieser Schlusssatz passt immer. »Und dann ging der Tintenfisch in den Zirkus. Er schaute sich die Löwen und die Tiger an und aß Zuckerwatte. Und dann sind alle gestorben. Ende.« Oder: »Coco, der neugierige Affe, kletterte auf den Baum, um sich seinen Drachen wiederzuholen. Dann hatte er seinen Drachen wieder. Und dann sind alle
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