Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
es auch mit einer improvisierten buddhistischen Herangehensweise – anstatt dem Schmerz entkommen zu wollen, betrachte ich ihn möglichst zenmäßig, mit einer aufgeschlossen-unvoreingenommenen Grundhaltung. » Das ist aber ein interessantes Gefühl. Dieses Brennen. Dieses Pochen«, sage ich mir. Ich analysiere den Schmerz. Doch diese Strategie funktioniert besser bei akuten Schmerzen – etwa, wenn man sich den Finger in einer Schublade klemmt – als bei meiner hartnäckigen Schulterzerrung.
Also werde ich heute eine neue Strategie ausprobieren: Akupunktur. In der Nähe unserer Wohnung gibt es eine Praxis. In New York ist der nächste Akupunkteur wirklich nie weiter als fünf Gehminuten entfernt.
Nun sitze ich also in einem Wartezimmer im Untergeschoss eines Gebäudes. Ein Buddha von der Größe einer Wassermelone hält die Zimmertür offen. In der Luft liegt ein besonderer Duft. Ich kann nicht sagen, was genau es ist – Jasmin? Weihrauch? Verschüttete Grünkohlbrühe? –, doch der Geruch ist in allen alternativen Heilpraxen derselbe.
Ich fülle Fragebögen und Formulare aus und blättere in einigen Werbebroschüren. Sie sind eindeutig für ein anderes Geschlecht gedacht, wie ich spätestens bei dem Prospekt für ein glutenfreies Tonikum namens Zenopause bemerke.
Die Akupunkteurin ruft mich in ihr Behandlungszimmer und stellt sich vor: Sie heißt Galina und ist eine stabil gebaute Russin in den Sechzigern mit Stirnfransen, starkem Akzent und einem weißen Gewand, auf dem auf Englisch und Chinesisch Wörter wie Calm und Relax stehen.
»Was führt Sie zu mir?«, fragt sie.
Ich erzähle ihr von meinen Schulterschmerzen. Sie nickt und macht sich Notizen. Dann stellt sie mir zehn Minuten lang eine Frage nach der anderen und notiert sich meine Antworten.
»Schwitzen Sie?«
»Ja.«
»Wo?«
»Unter den Achseln und im Gesicht.«
Ich schaue mich im Behandlungsraum um. Es ist schummrig hier, einem Wiener Caféhaus ähnlicher als der Praxis eines Schulmediziners mit ihrem gleißenden Neonlicht. Die Wände sind mit asiatischen Fächern und Anatomiepostern bedeckt.
Nachdem sie mich zu meinen Schlaf-, Verdauungs- und Essgewohnheiten befragt hat, erhebt Galina sich von ihrem Stuhl.
»Sind Sie bereit?«
»Ja. Mit einer Ausnahme: Bitte lassen Sie meinen Kopf in Ruhe. Ich will nichts am Kopf gemacht bekommen.«
»Genau da muss ich Sie aber behandeln.«
Offensichtlich hat Galina daheim in Russland noch nie etwas davon gehört, dass der Kunde König ist.
Gequält stöhne ich auf. Ich habe ein ausgesprochen neurotisches Verhältnis zu Kopfberührungen aller Art. Ganz zu schweigen von Nadeln, die meinen Schädel durchbohren. Ich habe eine völlig irrationale Angst vor Hirnschäden. Als Kind litt ich noch viel mehr darunter: Mein Kopf war tabu. Kein freundliches Getätschel. Kein Fußball, wegen dieser kranken Praktik, den Ball mit der Birne zu kicken. Und wenn Oma mich auf die Stirn küssen wollte, drehte ich den Kopf blitzartig weg wie Muhammad Ali im Ring.
Inzwischen darf Julie mir liebevoll durchs Haar fahren. Aber ich bin immer noch sehr ängstlich.
»Die Kopfhaut hat die wenigsten Schmerzrezeptoren«, beruhigt Galina mich. »Deshalb tut es da auch am wenigsten weh.«
Ich lächle schwach.
»Nur jeder Hundertste der Patienten wird ohnmächtig. Noch nicht mal. Die stärksten Kerle haut es am ehesten um.« Sie lacht. Dann führt sie mich zu einem Stuhl in der Zimmermitte.
»Wo spüren Sie am meisten, bei eins, zwei, drei oder vier?«, fragt sie und drückt mit den Fingern fest auf verschiedene Areale in unmittelbarer Nachbarschaft der kahlen Stelle auf meinem Kopf.
»Bei drei«, sage ich.
»Die Akupunktur stammt wahrscheinlich aus Russland, wussten Sie das?«, sagt sie, während sie mit einem alkoholgetränkten Wattebausch auf meinem Kopf herumreibt. »Der älteste Körper mit Spuren von Akupunktur wurde in Sibirien gefunden. Er war mumifiziert.«
Ich werde nicht mit einer Frau diskutieren, die drauf und dran ist, meinen schutzlosen Schädel mit spitzen Gegenständen zu traktieren. Sie nimmt eine streichholzgroße Nadel zur Hand und zieht das blaue Schutzkäppchen ab. Dann spüre ich einen Piekser. Dann ein Gleiten. Schwach, aber deutlich höre ich, wie die Nadel durch die diversen Hautschichten dringt. Die Prozedur ist nicht allzu schmerzhaft – ungefähr doppelt so schlimm wie ein Mückenstich –, aber von dem Geräusch wird mir speiübel.
»Sie können sich im Spiegel anschauen, wenn Sie wollen«, sagt
Weitere Kostenlose Bücher