Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
brachial. Aber er muss es gewesen sein. Das Eis ist gebrochen. Ich muss zum ersten Mal wirklich kichern.
Eine Jugendbuchautorin sieht mich kichern und fängt an zu lachen. Ich kichere heftiger. Wir schauen einander an. Und dann platze ich so richtig los. Ein blasenstrapazierender Lachanfall schüttelt mich, einer von der Art wie früher bei Highschool-Versammlungen, wenn wir ein Thanksgiving-Lied singen mussten und ich krampfhaft versuchte, durch Gedanken an das Begräbnis meiner Großeltern und meine eigene dereinst verwesende sterbliche Hülle die Beherrschung zu bewahren.
Aber hier muss ich mich ja nicht beherrschen.
Hi hi hi, ha ha ha!
Eingorn gibt uns noch ein paar Worte mit auf den Heimweg: »Das Ziel der Lachbewegung ist Frieden auf Erden. Ich weiß, das klingt abgedroschen. Aber wir sind der festen Überzeugung, dass man nicht gleichzeitig lachen und wütend sein kann. Wenn alle Menschen viel mehr lachten, gäbe es viel weniger Wut auf der Welt. Also lasst uns jetzt eine Schweigeminute einlegen und beten oder meditieren und dabei an den Weltfrieden denken.« Ich schließe die Augen. Jemand kichert, aber das ist bestimmt auch in Ordnung.
Beschwingt und mit geröteten Wangen komme ich nach Hause, ganz so, als hätte ich mir gerade zwei Heineken Light gegönnt. Gleichzeitig bin ich froh, nicht mehr auf Kommando lachen zu müssen.
Zur gleichen Zeit kommt Julie aus dem Theater zurück. Sie hatte einer Freundin zum 40. Geburtstag Karten für The Scottsboro Boys geschenkt.
»Und? Wie war’s?«, frage ich.
»Ich fand’s wirklich gut«, sagt sie.
»Ja, soweit ich weiß, waren die Besprechungen herausragend«, sage ich.
Die Besprechungen waren herausragend? So was sagt doch heutzutage keiner mehr! Ich klinge wie ein ältlicher Feuilletonist aus einem Roman von F. Scott Fitzgerald. Unwillkürlich frage ich mich, wo dieser Satz auf einmal herkommt.
Julie, die gute Seele, lässt sich diese goldene Gelegenheit natürlich nicht entgehen.
»In der Tat, das Stück zeitigte überwältigende Resonanz«, sagt sie kichernd. »Der Impresario war beglückt!«
Jetzt muss ich auch lachen. Es ist kein explosives Lachen und auch kein Sumolachen – aber dafür echt und herzlich. Und Julie treibt das Ganze immer noch ein bisschen weiter auf die Spitze. Sie flicht Dorothy Parker ein, die Marx Brothers und Orson Welles, und hört erst auf zu lachen, als sie das Letzte aus der Nummer herausgeholt hat. Dafür liebe ich sie. Niemand kann mich so zum Lachen bringen wie Julie. Noch nicht mal Alex Eingorn.
Magisches Denken
Vor einiger Zeit las ich ein großartiges Zitat, kann allerdings trotz intensiver Google-Recherche nicht mehr sagen, von wem es stammt. Ich weiß nur noch, dass es ein Prominenter war. Als er aus dem Flugzeug stieg, fragte ihn jemand: »Wie war Ihr Flug?« Er antwortete: »Schrecklich. Ich bin total erschöpft, so sehr habe ich geackert, um den verdammten Flieger mit meinen Sorgen in der Luft zu halten!«
Das Gefühl kenne ich. So geht’s mir auch oft. Im Magischen Denken bin ich Weltmeister. Wobei sich hinter dem poetischen Ausdruck eine ziemliche Macke verbirgt. Immerzu denke ich: Wenn ich mir nur ausgiebig genug Sorgen über X mache, wird X schon nicht eintreten. Mache ich mir hingegen keine Sorgen, sondern blättere vergnügt in der Bordzeitschrift oder genieße den Blick auf die Wolken unter mir, so werde ich für meine Sorglosigkeit bestraft. Und mit mir zusammen alle anderen Passagiere. In dieser schrecklichen Abart des puritanischen Arbeitsethos ist es meine Pflicht , mir Sorgen zu machen.
Korrekt betrieben, erfordert Magisches Denken nach meiner Einschätzung die Phantasie, sich jedes noch so furchtbare Szenario vorzustellen und entsprechende Ängste zu entwickeln. Genau das ist die einzige Möglichkeit, das Schicksal auszutricksen.
Dieses Ritual kann ungemein zeitaufwendig sein. Neulich abends ging Julie mit ihrer Mutter ins Kino. Drei Stunden später war sie noch nicht wieder zu Hause. Drei Stunden und 20 Minuten später immer noch nicht. Ich versuchte, sie über Handy zu erreichen. Es war abgeschaltet. Ich schaute die Filmlänge nach. Gerade mal eine Stunde und 20 Minuten.
Und schon machte meine Phantasie sich an die Arbeit.
Vielleicht ist sie ermordet worden.
Vielleicht hatte sie einen Schlaganfall.
Vielleicht gab es im Kino ein Giftgas-Attentat .
Es gilt, gründlich zu Werke zu gehen und auch die abwegigsten Szenarien in Erwägung zu ziehen.
Vielleicht ist sie einem Mann begegnet.
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