Saugfest
Mensch, den ich kenne. Er ist so lieb und so freundlich, dass man ihn permanent schlagen möchte. Malte ist natürlich glücklich verheiratet und hat zwei
glückliche Kinder und eine glückliche Katze, alle leben in einem Haus, das nicht aus Stein, sondern aus Glück gebaut wurde, und Malte wird nicht müde, davon zu erzählen, wie glücklich ihn sein Leben macht. Er arbeitet auch noch ehrenamtlich in einem Seniorenstift und pumpt dort die Reifen der Rollstühle auf, wenn der Druck zu schwach ist, und die Senioren machen ihn auch total glücklich. An Weihnachten schiebt er die Senioren in ihren Rollstühlen in die Kirche und überprüft natürlich vorher, ob sie auch geheizt wurde, und dann singt Malte aus vollem, glücklichem Hals »O du fröhliche« und betet dafür, dass alles so bleibt, wie es ist. Maltes Frau heißt Birte, wohnt in ihrem Nutzgarten und ist natürlich total glücklich, wenn sie ernten kann, und könnte Maltes Zwillingsschwester sein. Nicht nur vom Aussehen her, sie sind beide blond und haben babyblaue Augen, sondern auch von der Mentalität. Sie sind Gutmenschen. Natürlich werden die geernteten Zucchini und die Kartoffeln auch in das Seniorenheim getragen, worüber die Senioren ja so glücklich sind, und im letzten Herbst war Malte so verwegen, mit den Senioren Kürbisse auszuhöhlen und Fratzen hineinzuschneiden, weil die Senioren auch mal Halloween feiern sollten, worüber sie natürlich sehr, sehr glücklich waren, gemeinsam mit Malte »Huuuh, huuuh!« riefen und noch Wochen später über dieses ungewöhnliche Ereignis redeten. »Wir haben sogar Kerzen in die ausgehöhlten Kürbisse gestellt«, hat Malte erzählt. »Das fand der eine oder andere schon gruselig, und manch einer hatte nachts schlimme Träume. Aber das war die Sache wert. Im Großen und Ganzen waren sie sehr, sehr angetan. Außerdem schlafen alte Leute ja sowieso nicht mehr so viel.«
Jetzt sagt Malte: »Niemand ist so pünktlich wie du, gar niemand.« »Geht’s dir sonst gut?«, frage ich ihn, weil ich ja gerade Zeit habe. Ein großer Fehler.
»Mir geht’s prima«, jubiliert Malte sofort los. »Ich hab am Wochenende frei und werde mit Joseph und Aaron den Sinn des Lebens suchen.«
»Wo wollt ihr den denn suchen?«
»Oh, Helene, überall kann man ihn finden. Man muss nur mit offenen Augen durchs Leben gehen. In unserem Fall suchen wir ihn mit den Fahrrädern. Das Wetter soll ja so schön werden. Auch du wirst irgendwann mal … «
»Hör auf mit dieser Scheiße!«
»Versündige dich nicht.« Er atmet keuchend.
»Wieso hast du überhaupt mich angerufen? Eigentlich hab ich an diesem Wochenende doch frei.«
»Ja, ich weiß«, erklärt Malte. »Aber die Leute, die schienen zu wissen, dass du nun doch verfügbar bist. Und sie wollten unbedingt dich als Fahrerin.«
»Moment mal«, was ist denn das für ein gequirlter Mist. »Seit wann wissen denn die Fahrgäste unsere Namen?« Seit der Sache damals mit Jonas habe ich die Zentrale gezwungen, noch vorsichtiger zu sein. Offenbar hat es riesig viel genützt.
»Keine Ahnung«, sagt Malte. »Der Mann, der anrief, klang aber nett. Er klang so, als würde er keine Wurst essen. Er klang vegetarisch. Und ein bisschen so, als würde er Ballaststoffe mögen. Die mag ich ja auch gern. Also, was ist? Übernimmst du diese Tour? Sonst kann ich auch Friedrich fragen.«
»Ich denke, die wollten nur mich?«
»Wollen sie ja auch. Aber wenn du nicht kannst, dann muss ich ja einen Ersatz finden. Das ist ein Naturgesetz.«
»Ich habe
nicht
gesagt, dass ich
nicht
kann«, schleudere ich Malte entgegen. »Dass du einem immer die Worte im Mund umdrehen musst.«
»Sei doch nicht so unfreundlich«, ist Maltes Standardantwort. »Du bist jung, du bist gesund, so wie ich auch, und wie Birte und wie Joseph und Aaron. Lass uns frohlocken!«
»Ich frohlocke später. Gib mir die Adresse.«
Einige Zeit später kann ich endlich auflegen; Malte musste mir unbedingt noch erzählen, dass seine glückliche Katze bald Junge wirft, und er musste mich fragen, ob ich eins der glücklichen, anfangs
noch blinden Kätzchen haben wolle. Sicher, Malte. Wo ich doch solch ein Tierfreund bin und eine unheimlich starke Bindung zu anderen Geschöpfen aufbaue und pflege. Die kleine Katze wäre innerhalb von einer Stunde reif für eine Therapie. Vom Heuler mal ganz abgesehen. Wenn der schon beim Märchenerzählen anfängt zu flennen, möchte ich gar nicht erst wissen, was passiert, wenn man ihn mit einem anderen Tier
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