Saugfest
konfrontiert. Der würde sich ja schon in die Hose machen, wenn ich einen toten Weberknecht vor ihn lege. Aber vielleicht täusche ich mich ja auch im Heuler, und er tut nur so, als ob.
Weil ich das austesten will, gehe ich in die Küche und suche den alten Weidenkorb, den mal irgendjemand hier vergessen hat. Während ich diabolisch vor mich hin lächle, lege ich eine Flasche Rotwein in den Korb, dann umwickle ich meinen Heißwasserbereiter mit einem karierten Geschirrtuch, so dass man annehmen könnte, ein selbstgebackener Napfkuchen würde vom Handtuch vor schädlichen Umwelteinflüssen geschützt. Ein weiteres rotkariertes Handtuch binde ich mir als Kopftuch um. Mir fällt ein, dass sich in meinem Kleiderschrank noch die alte Tracht meiner Großmutter befindet. Sie hat sie mir vererbt; ich wusste jahrelang nichts damit anzufangen, aber jetzt hat die Tracht ihren großen Tag. Ich ziehe schwere Wanderstiefel dazu an, die ich eigentlich nur im Winter trage, und dann ist der Moment gekommen, in dem ich ins Wohnzimmer stapfe und mich vor dem Heuler aufbaue, der sich mittlerweile getraut hat, aus der Wurmhaltung herauszukommen, und dumm herumsteht.
»Ich bin das Rotkäppchen, ich bringe dir Kuchen und Wein!«, schreie ich den Heuler mit dunkler Stimme an. »Großmutter, Großmutter, was hast du für große Ohren! Und was für ein entsetzlich großes Maul! Wohl damit du mich besser fressen kannst!«
Der Heuler ist dank meines Auftritts traumatisiert. Blicklos starrt er auch nach einer halben Stunde noch ins Leere, nur manchmal
zucken seine Pfoten apathisch, so als würde er einen schlechten Wolfstraum träumen. Aus seinem Maul, das, da bin ich sicher, noch nie ein Kaninchen oder ein anderes lebendes Tier gerissen hat, tropft Speichel und sickert in meinen Teppichboden. Sein Kopf ruht in meinem Schoß, und hilflos kraule ich ihm das Fell. Manchmal ist ein Schock ja heilsam, das hab ich mal irgendwo gelesen, aber beim Heuler scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Ich wundere mich über den Wolf. Auch weil er scheinbar überhaupt keinen Hunger zu haben scheint. Wölfe haben doch immer Hunger. Oder war das nicht so? Und Wölfe sind doch Raubtiere. Oder war das nicht so? Ich bin komplett durcheinander und sogar schon so weit, dass ich die Möglichkeit in Betracht ziehe, dass Wölfe nur Gras fressen und muhende Wiederkäuer sind.
Plötzlich bin ich müde, so müde. Das permanente Kraulen ist ungewohnt für mich, und ich beschließe, mich ein wenig neben den Heuler zu legen. Eine Sekunde später bin ich eingeschlafen. Dass der Heuler seinen Kopf hebt und mich aus seinen gelben Augen lange anschaut, bekomme ich nicht mit.
»Jetzt komm schon!«
Der Wolf sträubt sich dagegen, die Wohnung zu verlassen. Er versucht zu knurren, schafft es aber nicht. Ich zerre ihn am Ohr hinter mir her. Herrje, ich bin viel zu spät dran. Ich muss in einen Kieler Vorort fahren, und zwar jetzt, und zwar sofort, und zwar unverzüglich. Aber der Heuler macht meine Pläne zunichte. Irgendwann habe ich die Schnauze gestrichen voll und trete ihm mit voller Wucht in den Hintern. Weil ich immer noch die Wanderstiefel trage, hat der Tritt Wirkung. Der Heuler wird aus der offenen Wohnungstür in den Flur katapultiert und fliegt dann jaulend die Treppe runter.
Auf der A 7 bekommt der Heuler einen Schluckauf, und zwar einen von der Sorte, der niemals mehr aufhört. Natürlich erschreckt er sich jedes Mal, wenn er »Hicks« macht, außerdem kann er den Sicherheitsgurt nicht ausstehen und beißt darauf herum. Aber ich
möchte nicht, dass er nach einer Vollbremsung auch noch durch die Windschutzscheibe donnert, und bestehe auf dem Gurt. Es schüttet wie aus Eimern, ein starker Wind weht, es ist schon halb zwölf, und ich habe noch nicht mal die Hälfte der Strecke geschafft, was daran liegt, dass ich wegen des schlechten Wetters extrem langsam fahre. Der Heuler liegt neben mir und hickst in schönster Regelmäßigkeit, was mich wahnsinnig macht. Es ist vergleichbar mit chinesischer Wasserfolter. Wo ist bloß dieser verdammte Acker, auf dem sich angeblich diese Disco befindet? Bestimmt hat Malte irgendwas verwechselt. Mit dem Sinn des Lebens oder mit was auch immer. Ich schalte das Radio ein. Element of Crime.
»Ein Hotdog unten am Hafen und vorm Einschlafen schnell noch ein Bier,
dem Feind einen Tritt in die Rippen und ein paar Kippen für hinterher.
Ein Date mit dem Dalai Lama und ein Apfelsaft morgens um zwei, und eine halbautomatische Waffe
Weitere Kostenlose Bücher