Saugfest
nicht«, sagt das bucklige Männlein und hält eine Fackel höher, so dass man mich besser sehen kann.
Wo ist denn der Heuler, mein einziger Verbündeter? Ich wollte sagen: Wo ist denn der Heuler?
Der Schlechtgelaunte scheint zu überlegen, dann kommt er in langsamen Schritten auf mich zu. Ich weiß nicht, wie die Abläufe hier sind und ob es jetzt richtig wäre, ihm entgegenzugehen oder lieber ein paar Schritte vor ihm zurückzuweichen; mir hat das keiner gesagt. Also bleibe ich einfach stehen und halte mich an meinem Korb und dem Heißwasserbereiter fest, soweit das möglich ist.
Direkt vor mir bleibt er stehen. Er riecht so, wie ein Wald nach einem Regenschauer riecht. Er ist wie Zottel in schwarzes Leder gekleidet, nur mit dem Unterschied, dass er eine Jacke trägt und keinen Mantel, und dass die Jacke keine Kapuze hat. Seine Haare sind auch nicht so lang wie die von Zottel, sie reichen nur bis kurz unter die Schultern, was heißt nur, das sind ja auch schon lange Haare. Sie sind leicht gelockt, was ihm unter anderen Umständen die Aura eines Erzengels verleihen würde, so aber nicht. Oh, und er muss sich kürzlich verletzt haben, aus seinen Mundwinkeln läuft ein wenig Blut. Nicht, dass er sich vor Schreck über mein plötzliches Auftauchen aus Versehen auf die Zunge gebissen hat. Wenn dem so ist, dann habe ich das nicht gewollt. Und ich hoffe für ihn, dass die Schwellung bald abklingt.
»Haben Sie sich weh getan?«, frage ich und ärgere mich total darüber, dass meine Stimme so dünn und devot klingt. Ich möchte ihn so viel fragen, auch warum da hinten Leute auf Holzbahren schlafen, aber es sind so viele Fragen, dass ich gar nicht weiß, wo ich beginnen soll.
Ein amüsiertes Murmeln der Menge im Hintergrund bestätigt die Dämlichkeit meiner Frage.
»Ich? Mir weh getan?«
Seine Stimme klingt wie geräuchertes Zedernholz oder wie gutes und mit viel Erfahrung geöltes Mahagoni. Sie klingt umwerfend! Rau, tief, abgründig, verheißungsvoll … ich will unbedingt, dass er weiterspricht. Dann weiß ich auch, wie ich das anstellen kann, denn mir fällt etwas auf.
»Sie tragen eine Jacke«, sage ich. »Sicher gehören Sie zu den Fahrgästen, die hier auf mich warten, nicht wahr?« Darauf muss man erst mal kommen, wie ich finde.
Der Schlechtgelaunte blickt an sich herunter. »Jetzt begreife ich … «, kommt es langsam. »Die
Taxifahrerin
.«
»Das erwähnte ich bereits«, antworte ich. »Vor ein paar Minuten. Messmer ist mein Name. Helene Messmer.«
»Da hatte ich noch nicht richtig zugehört«, werde ich informiert. »Da hatte ich noch etwas anderes zu tun. Du bist also da. Wie schön.«
Er duzt mich einfach. Auch egal. Ja, ich finde es auch schön. Hier ist es fast so schön wie zu Hause. Ach, was rede ich. Hier ist es noch viel schöner. So gemütlich. Und alle sind mir so wohlgesonnen. Ich wette, wenn sie welche hätten, sie würden mir Bonbons und andere Zuckerwaren schenken.
»Ja, da bin ich.« Und jetzt?
»Man hatte dich anders beschrieben«, erklärt mir der mit der Zedernholzstimme, den ich bis eben gerade noch den Schlechtgelaunten nannte. »Man erklärte, du trügest andere Kleidung.«
»Das tue ich normalerweise auch. Das ist eine Tracht von meiner Oma. Und die Tracht also, die hab ich nur wegen des Heulers angezogen. Die Schuhe auch.«
»Wegen des
Heulers
?«
»Satan! Sie meint deinen Satan!«, ruft Zottel von irgendwoher, und ich nicke.
»Der Heuler ist der Satan. Oder umgekehrt«, sage ich unbeholfen.
Der mit der Zedernholzstimme hebt eine Hand und schiebt mein Kopftuch nach hinten. Die Berührung irritiert mich maßlos. »Wenigstens stimmt die Haarfarbe. Wenigstens das.« Er nickt mir zu. »Du wirst bleiben. Ich werde mich nachher mit dir beschäftigen.«
Was auch immer er nun damit meint, es gefällt mir nicht so richtig. Weil es alles und nichts bedeuten kann. Dazu kommt, dass
mir langsam kalt wird. Draußen, also ungefähr fünf Kilometer über mir, haben wir Frühsommer, auch wenn es gerade regnet. Trotzdem ist es wärmer als hier. Hier unten nämlich ist diesiger, nasskalter Herbst, es fehlt nur noch ein Sturm oder spontan und mit voller Wucht einsetzender Hagelschlag.
»Was heißt das?«, frage ich.
Der Mann macht eine Handbewegung, die ich nicht deuten kann, und wendet sich von mir ab. Ich drehe mich um und bemerke, dass die Fahrstuhltüren geschlossen sind, nein, ich lüge, ich bemerke, dass die Fahrstuhltüren gar nicht mehr da sind. Es gibt überhaupt keinen Fahrstuhl
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