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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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gegenüber steht eine Gestalt, die durch rötlichen Lichteinfluss alles andere als vertrauenerweckend aussieht. Dazu kommt, dass ich mich so alleine auf der Welt fühle. Selbst meine einzige Freundin hat sich von mir abgewendet, und das für immer. Schön ist anders. Mein Herz rast. Mein Mund ist trocken. Der Heuler winselt. Werde ich gleich sterben? Ich wollte
doch immer sterben. Aber so? Nein, so nicht. Ich weiß selbst nicht mehr, was ich eigentlich will.
    Der Mann beugt sich zu mir nach vorn. »Kennen Sie
Con Air
?« Ja, Zottel, ich kenne
Con Air
. Das ist doch dieser schnulzige Heimatfilm, in dem es um den jovialen Jungbauern Justus auf Juist geht, der nach langer Sucherei endlich seine Traumfrau gefunden hat, und das ist die rüstige Rechtsanwaltsgehilfin Resi aus Recklinghausen, die die Natur total liebt und schon immer auf einem Hof mit dreihundert schwachsinnigen Schweinen wohnen wollte, weil sie es so toll findet, ab morgens um vier in einem stinkenden Stall das Vieh zu versorgen. In ihrem Beruf hat sie nie ihre Erfüllung gefunden, aber im Schweinemist. Ganz zum Schluss nach vielen, vielen Problemen, die bewältigt wurden (»Die Bank gibt uns keinen Kredit für einen neuen Mähdrescher. Wir sind am Ende!« »Die Bank gibt uns doch einen Kredit für den neuen Mähdrescher. Wir sind gerettet!«) sieht man die beiden mit neugeborenen Ferkeln auf den Armen in einer Jauchegrube stehen, im Hintergrund geht die Sonne unter, Justus aus Juist hat einen abgewetzten Blaumann an und sagt zur Resi aus Recklinghausen: »Ich wusste gar nicht, dass du eine braune Bluse hast«, und Resi antwortet verliebt: »Hab ich auch nicht, da haben nur die Schweine draufgeschissen.« Beide machen »Hahahaha« und sagen: »Ist das Leben nicht schön?« Dann setzt Violinenmusik ein, und der Abspann beginnt.
    »Nein, ich kenne
Con Air
nicht. Ich habe zwar schon mal davon gehört, aber ich hab den Film noch nie gesehen.« Schluck. Schluck. Schluck.
    »Ein Superstreifen. Genial. Geht um einen Army-Ranger, der nach acht Jahren Knast endlich wieder heimkann. Wird von Nicolas Cage gespielt. Aber er hat die Rechnung eben nicht mit John Malkovich gemacht: Der ist total skrupellos und macht vor nichts halt, geht über Leichen.«
    »Wie süß«, sage ich unbeholfen und kralle mich an meinem Weidenkorb fest.
    »Heda!«, brüllt das Langhaar. »Macht das Ding doch mal wieder flott.« Dann widmet er sich wieder mir. »Süß? Na ja, darüber kann man so und so denken.«
    »Ich habe mich gerade versprochen. Ich dachte wohl gleichzeitig an die Schweine.«
    »Was?«
    »An die schlimmen Schweine, die dem John Malkovich an den Kragen wollen«, rede ich mich heraus.
    »Kann es sein, dass Sie nicht ganz richtig im Kopf sind?«
    Nein, Zottel, ich meine ja, Zottel, du hast recht. Ich bin nicht ganz richtig im Kopf. Aber du.
Du ganz bestimmt.
    »Hagen, Anselm! Nun, was ist los, Männer?«, brüllt Zottel los.
    Der Heuler ist eingeschlafen. Er liegt der Länge nach da und sieht so noch fetter aus, als wenn er stehen würde. Ich fasse es nicht. Wie kann er in dieser Situation einfach so einschlafen?
    »Gemach, gemach!«, kommt es dumpf von unten. »Ein Modem hat sich in der Elektrik verklemmt.«
    »Ach so! Ein Modem! Gut, gut, dank euch für die Information. Aber macht hin nun, die Zeit rennt uns davon!«
    »Jawohl! Jawohl!«, brüllen Anselm und Hagen, von wo auch immer.
    Zottel wendet sich wieder mir zu. »Nur ein Modem, nichts Ernstes. Das kriegen die Jungs schnell wieder gerichtet. Schlimmer wäre es, wenn es wieder eine Strandmuschel gewesen wäre. Kriegen Sie mal die Stofffetzen raus aus der Elektrik.«
    Ich nicke verständnisvoll und zwinge mich, mir die Frage, warum ausgerechnet eine Strandmuschel sich in die Elektrik verirren sollte, nicht zu stellen. Andererseits: Warum verirrt sich ein Modem darin?
    Ganz unvermittelt fühle ich mich, als würde ich den Proben einer Laienschauspielgruppe beiwohnen, die allabendlich zusammenkommt und es wahnsinnig wichtig findet, was sie tut. Zur Premiere an einem Freitagabend kommen dann hundertfünfzig Leute (der Gemeindesaal der evangelischen Kirche ist ausverkauft), und
schon Wochen vorher ist es Gesprächsthema Nummer eins, dass der Michael und der Andi, die im wahren Leben Bäckergeselle und Kfz-Mechaniker sind, solche wahnsinnigen Nebentalente haben. Natürlich wird dann gewitzelt, wenn sie in langen Umhängen auf der Bühne stehen und vielleicht sogar noch Lorbeerkränze auf den Köpfen haben. (»Na, na, na,

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