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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steffi Wolff
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trägst du jetzt heimlich Frauenkleider?« oder »Hihihi, fühlst dich wohl wie Cäsar, was? Aber das Ding wird abgenommen, wenn du heimkommst, zu Hause hab immer noch ich die Hosen an.« Das sagt dann die Ehefrau von Michael oder Andi. Oder es sagen beide Ehefrauen.) Gott, ich konnte diesen Menschenschlag noch nie ausstehen! Das sind diese Menschen, die mit ihrem Kegelclub oder dem »Verein Zwerg-Welsumer Hühner« an einem Freitag in Frankfurt in den Zug steigen, um ein aufregendes Wochenende in Hamburg zu verbringen. Während der dreieinhalbstündigen Fahrt werden Butterbrote mit Mettwurst ausgepackt und hartgekochte Eier geschält, man hat kleine Salz- und Pfeffertütchen dabei, die man in einem Charterflugzeug (Mallorca) mal »hat mitgehen lassen, ach, war das da warm! Da könnte sich Deutschland mal eine Scheibe von abschneiden«, und Pfläumchen und Jägermeister machen die feuchte Runde. Sobald der Alkoholpegel gestiegen ist, also nach ungefähr einer Viertelstunde, fangen die blöden Sprüche an, und man beginnt zu singen, Stadtpläne werden studiert und kommentiert (»Das Blaue da, das ist die Elbe!«), und wenn man am Hamburger Hauptbahnhof angekommen ist, geht das Drama los (»Ach du liebe Zeit, der ist ja ganz anders aufgeteilt als der Bahnhof in Frankfurt!«). Das sind diese Leute, die dann abends »die Reeperbahn unsicher machen« und geschockt in Turnschuhen und mit Bauchtaschen und Brustbeuteln durch die Erotikshops latschen, um dann im Erotikkaufhaus Nummer eins, nämlich der
Boutique Bizarre
, komplett zusammenzubrechen, weil sie nicht wissen, was sie mit einem zwei Meter langen Unterarm, der in einer Hand mündet, die zur Faust geballt ist, anfangen sollen. Die gickelnd im Untergeschoss durch die SM -Abteilung schleichen
und auch noch den Nerv haben, ein weißes Gummikleid mit einem roten Kreuz drauf von der Stange zu nehmen und einen Verkäufer zu fragen, ob das a) aus der Schweiz und b) denn auch atmungsaktiv sei. Das sind dann meistens die Frauen, die so was fragen; die Männer würden sich am liebsten in der Pornofilmabteilung umschauen, trauen sich das aber nicht, weil die Frauen ihnen später die Hölle heißmachen würden.
    Zu vorgerückter Stunde geht’s dann natürlich auch noch in die Herbertstraße, und hier kommen die Männer endlich zum Zug, sträuben sich erst mit kindlichem Eifer, um sich dann doch überreden zu lassen, »mal durchzugehen«, um dann wieder rauszukommen und ihren gackernden Frauen zu versichern, dass »das nichts für mich ist«, obwohl jeder Blinde mit Krückstock sieht, dass sie am liebsten mit mindestens drei Huren hätten vögeln wollen. Manchmal sagt eine der Frauen dann noch: »Wie gut, dass ich dir so wenig Taschengeld gegeben habe«, und alle lachen; die Männer weniger fröhlich als verzweifelt und sauer darüber, dass sie zu spät auf die Idee gekommen sind, ihre Frauen zu Hause zu lassen. Ich kriege so was immer mit, wenn ich freitags oder samstags Spätschicht habe, und möchte diese Menschen am liebsten unverzüglich in den Zug zurück nach Frankfurt setzen, das heißt, am liebsten würde ich sie erst noch geißeln, weil sie so dumm sind, aber das mache ich natürlich nicht, weil auf dem Kiez nachts überall Polizisten rumlaufen, die ich teilweise auch mit Namen kenne.
    Es ruckelt und ruckelt, und dann ruft Anselm, oder ist es Hagen: »Es ist geschafft. Das Modem ist entfernt. Nun kann es weitergehen!«, und Zottel antwortet: »Gute Arbeit, Kameraden!«
    Kurze Zeit später sind wir im schätzungsweise dreiundsechzigsten Untergeschoss angekommen, und die Tür öffnet sich wieder ächzend.
    Der Heuler wacht auf und winselt, traut sich aber, die Fahrstuhlkabine zu verlassen.
    Ich trotte ihm und Zottel hinterher.
    Und bekomme fast einen Herzschlag.

7

     
    Ich stehe in einer Grabkammer. Oder einer Gruft. Oder in etwas Vergleichbarem. Und, was mich am meisten irritiert, ich stehe hier nicht alleine. Damit meine ich nicht Zottel oder den Heuler; nein, hier sind schätzungsweise fünfzehn, zwanzig Menschen. Aber sie tanzen nicht, wie Leute das tun würden, wäre das hier eine Disco. Sie stehen vor hohen Holzbahren, auf denen wiederum andere Menschen liegen. Die, die stehen, drehen sich nun alle um und starren mich an, was mir wegen des Rotkäppchenkostüms sehr unangenehm ist, aber herrje, was soll ich denn machen?
    Zottel hat sich mitten unter die Leute gestellt und glotzt mich ebenfalls an. Nur der Heuler bleibt mir treu. Schüchtern legt er den Kopf in den

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