Saukalt
ergriff der Römer
wieder das Wort und fragte den Strobel, ob er sich eventuell vorstellen könne,
wer von den Leuten im Ort so etwas tun würde. Naturgemäß sah der Strobel die
Menschen im Dorf nicht durch die rosarote Brille und schleppte auch das eine
oder andere Vorurteil mit sich herum. Darum sagte er jetzt auch, dass er schon
so ein paar Ideen hätte, wen er da fragen könnte. Die üblichen Verdächtigen
quasi. Zu allererst sind ihm da die Familien Fellner und Brauneis in den Sinn
gekommen. Die waren nicht nur riesig, sondern hatten auch einen äußerst
schlechten Ruf. Aber nicht nur im Ort, sondern in der ganzen Umgebung ließen
die Leute kein gutes Haar an den Mitgliedern dieser Familien. Das hatte verschiedene
Gründe. Der Hauptgrund war sicher, dass es die Herrschaften mit dem Begriff
Eigentum nicht so genau nahmen. Zumindest nicht, wenn es um das Eigentum
anderer ging. Bei ihrem Besitz waren sie da viel heikler. Was dir gehört,
gehört auch mir; und was mir gehört, geht dich nichts an. So oder so ähnlich
dürfte wohl ihr Motto gelautet haben. Wie es dazu kam, dass die Familie Fellner
als asoziale Bande verschrien war, kann heute keiner mehr sagen. Genauso wenig
kann sich noch irgendjemand daran erinnern, wann die Familie nach Tratschen
gezogen und von wo sie gekommen ist. Eines Tages waren sie einfach da und
kauften sich einen alten Gutshof, um dort zu wohnen. Wobei ›wohnen‹
wahrscheinlich nicht das richtige Wort war. Hausen passte da schon eher. Weil auf
dem Grundstück hat es ausgeschaut wie auf einer Mülldeponie. Alte Matratzen,
kaputte Möbel, demolierte Elektrogeräte, Autowracks und die dazu passenden
Ersatzteile lagen über den ganzen Hof verstreut. Wie es im Haus selber
ausgeschaut hat, wusste niemand. Weil zum einen haben die Fellners niemanden
hineingelassen, und zum anderen verspürte keiner große Lust, die Familie zu
besuchen. Darum wusste auch keiner, die Gemeinde und die Gendarmerie
eingeschlossen, so genau, wie viele Menschen auf dem Hof lebten. Natürlich gab
es eine offizielle Schätzung, die bei zehn Personen lag, aber ich glaube, in
Wirklichkeit waren es mehr. Sei’s drum. Gearbeitet hat in dieser Familie keiner
etwas. Höchstens einmal ein paar kleinere Gelegenheitsjobs. Das war aber die
Ausnahme. Wovon die Leute gelebt haben, war ein Rätsel. Zwar wusste man, dass
sie gestohlen haben wie die Raben, aber so viel wie man brauchte, um eine
derart große Familie zu ernähren, klauten sie auch wieder nicht. Zumindest
nicht in Tratschen. Jedenfalls spöttelten manche, dass es das erklärte Ziel der
Familie Fellner war, ein eigenes Volk zu gründen, so schnell, wie die sich
vermehrten. Im Ort war man sich im Stillen einig, dass die Familie Zigeunerblut
in den Adern hatte. Aber nicht nur wegen ihrem Lebensstil, sondern auch, weil
viele von ihnen einen ziemlich dunklen Teint hatten. Und weil die Zigeuner bis
heute bekanntlich keiner mag, ist es nur logisch, dass die Familie Fellner auch
keiner mochte. Ich muss allerdings dazu sagen, dass niemand in dieser Familie
ein besonderer Sympathieträger war. Die männlichen Vertreter des Clans hast du
meistens besoffen gesehen. Und Alkohol war scheinbar etwas, das den Gehirnen
der Burschen nicht wirklich gut tat. Die Kerle wurden total aggressiv, sobald
sie blau waren. Dementsprechend oft flogen auch die Watschen. Sowohl außerhalb
als auch innerhalb der Familie. Meistens prügelten sie sich aber mit ihren
Todfeinden aus der Familie Brauneis. Anzeigen gab es deswegen so gut wie nie,
weil die eigenen Familienmitglieder natürlich trotz allem so weit
zusammenhielten, dass sie sich ihre Prügeleien untereinander ausmachten, und
der Brauneisclan sich einfach irgendwann rächte. Alle anderen, die mit den
Fäusten der Herren Bekanntschaft machten, fürchteten, noch mehr Watschen zu
bekommen, wenn sie Anzeige erstatteten. Witzigerweise konnte kein Mensch sagen,
warum sich die beiden Familien derartig hassten und bekriegten. Nicht einmal
sie selber. Es war einfach seit vielen Jahren so. Die Abneigung wurde quasi von
einer Generation zur nächsten vererbt. So etwas soll es ja geben. Bei der
Familie Brauneis war es so ähnlich wie bei den Fellners. Zwar wohnten die nicht
alle zusammen in einem Haus, sondern verteilten sich über den ganzen Ort, aber
gemocht hat man sie deswegen auch nicht mehr. Allerdings wurde ihnen nicht
nachgesagt, dass sie Zigeuner waren. Trotzdem wollte niemand etwas mit ihnen zu
tun haben. Auch die Herren im Hause Brauneis waren
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