Saure Milch (German Edition)
können.
»Vielleicht hört es sich so an, als hätte ich mir die Sache gerade
eben ausgedacht, um den Alten zu entlasten und meine eigene Theorie zu unterstützen.
Habe ich aber nicht«, meinte sie forsch.
»Gut«, sagte Sprudel, »ich gehe davon aus, dass Sie mir keinen Bären
aufbinden.«
»Ab und zu ist es vorgekommen«, erzählte Fanni daraufhin, »dass ich
in die Milchkammer oder in Mirzas Küche geriet, wenn Mirza und der Alte gerade
ihre Zankereien austrugen. Es ging dabei nie um irgendwas Spezielles. Der Alte
maulte Mirza an, sie gab mit gleicher Münze zurück, und so haben sich beide
gegenseitig hochgeschaukelt. Der Showdown sah dann meist folgendermaßen aus:
Der Alte blökte ›Saumensch‹ und spuckte. Mirza zischte ›Misthammel, das Spucken
treib ich dir noch aus‹, trat einen Schritt an den Alten heran und kratzte mit
den Fingernägeln ihrer ganzen Hand über seinen Arm.«
Sprudel schüttelte ungläubig den Kopf.
Fanni seufzte. »Keifen und Poltern und Drohgebärden machen, das ist
die Art des Alten, mit jemandem umzugehen, den er auf seine zwiespältige Weise
recht gern hat.« Sie rückte ihre leere Tasse zur Seite, schob den Oberkörper
bis zur Mitte des Tisches vor, starrte Sprudel in die Augen und sagte
nachdrücklich: »Mirza hat das gewusst! Und sie hat es genauso gemacht wie
Bello. Sie hat das Spiel mitgespielt. Mirza hatte keine Angst vor dem Alten,
nicht die geringste!«
Fanni lehnte sich wieder zurück und schwieg.
Von Sprudel kam keine Reaktion.
Fanni wartete. Als ihr Sprudels Reglosigkeit unerträglich wurde,
fügte sie hinzu: »Glauben Sie mir wenigstens eines, Sprudel: Mirza hatte
wirklich keine Angst vor dem Alten. Sie wäre nie vor ihm davongelaufen.«
Die Kaffeekanne war längst leer, die Butterhörnchen waren
aufgegessen. Sprudel stand auf und murmelte: »Danke, Fanni.« Offenbar bemerkte
er gar nicht, dass er sie beim Vornamen genannt hatte. Ein wenig steifbeinig
ging er zur Tür. Fanni folgte ihm. Wie bei seinem ersten Besuch blieb er
plötzlich stehen. Aber heute war Fanni darauf vorbereitet.
Sprudel sagte: »Ich möchte mir das, was Sie mir gerade erzählt
haben, gerne noch mal in aller Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Darf ich
morgen wieder vorbeikommen?«
Fanni nickte. Es war sowieso schon ziemlich spät.
Für das Abendessen hatte sie allerdings schon am Mittag vorgesorgt.
Die Lasagne stand bereits im Backrohr. Fanni stellte die Oberhitze auf 200 Grad ein.
»Du brätst dich jetzt zu einer schönen, dicken braunen Kruste«,
sagte sie zu der Käseschicht obenauf, »damit der Chef nicht stänkert, während
er isst.«
Bis dahin würde es noch gut eine halbe Stunde dauern, und deshalb
entschied sich Fanni, bei Leni anzurufen. Sie wollte ihrer Tochter berichten,
was die Polizei betreffs Mirzas Tod ermittelt hatte. Falls Leni nicht gerade in
Eile war, wollte ihr Fanni ihre eigenen Überlegungen dazu schildern. Leni würde
verstehen, und sie würde etwas Vernünftiges dazu sagen, etwas, das wiederum
Fanni verstand.
Fanni wählte. Leni hatte Zeit. Sie hörte ihrer Mutter verblüfft zu
und dann sagte sie: »Ich kann mir da kein Urteil erlauben, Mama. Mirza kannte
ich ja nur vom Sehen, und dem alten Klein bin ich schon immer am liebsten aus
dem Weg gegangen. Aber es kommt mit plausibel vor, was du sagst. Du solltest
deine Hypothese der Polizei mitteilen. Und Mama, lass dich bloß nicht von Papa
einschüchtern.«
Fanni gestand ihrer Tochter die Unterhaltung mit Sprudel.
»Na siehst du«, sagte Leni, »manchmal findet sich doch noch einer
mit ein bisschen Hirn unter den Dorfzauseln. Ihr gebt bestimmt ein gutes
Gespann ab ihr beide – Mama sprudelt.« Sie kicherte ausgelassen.
»Albernes Gör«, sagte Fanni und legte auf.
»Der alte Klein ist verhaftet«, vermeldete Fannis Mann,
während er ein Stückchen Speck kaute. »War auch höchste Zeit.«
Die Nachbarn hatten es also schon spitz bekommen und über den Zaun
getuschelt.
»Meiser sagt, er selber hat in den vergangenen Tagen aus gutem Grund
den Klein-Hof scharf im Auge behalten«, betete Fannis Mann nach, was auf der
anderen Straßenseite gepredigt wurde. »Meiser sagt, er wäre auf der Stelle
persönlich eingeschritten, wenn der Alte Miene gemacht hätte, sich zu
verdrücken. Egal, was Mirza für eine war, davonkommen sollte ihr Mörder nicht.«
Na klar, dachte Fanni, dieser Mordfall quasi vor seiner Haustür ist
ein gefundenes Fressen für Meiser. Hoffentlich platzt er vor lauter
Wichtigtuerei. Wäre kein
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