Saure Milch (German Edition)
Nacht!«
Fanni hatte genug von ihm.
3.
Tags darauf, es war Freitag, der 17. Juni,
und Mirza lag seit acht Tagen in einem Kühlfach im gerichtsmedizinischen
Institut, spazierten Fanni und Sprudel durch ein kleines Waldstück am
südwestlichen Rand der Kreisstadt, die knapp fünf Kilometer von Erlenweiler
entfernt lag. Fanni versuchte, das Unbehagen abzuschütteln, das sie von ihrer
Haustür bis hierher verfolgt hatte.
Als Fanni rückwärts aus ihrer Zufahrt gestoßen und dann den schmalen
Erlenweiler Ring in Richtung Hauptstraße hinuntergefahren war, hatten sich Herr
und Frau Meiser in ihrem Vorgarten befunden. Er schnitt den Fliederbaum zu, der
frech ein Zweiglein zu der Schubkarre aus Holzbohlen hinwachsen ließ, in die
seine Frau Geranien gepflanzt hatte; sie stach mit einem winzigen Spatel
Gänseblümchennester aus dem Rasen. Im Rückspiegel sah Fanni, wie ihr beide mit
offenem Mund nachstarrten. Dann waren neben Fannis Seitenfenster Frau Praml und
ihre beiden Kinder auf dem Ring erschienen – sie waren vermutlich auf dem
Weg zu Frau Pramls Mutter, die ein Stück die Hauptstraße hinunter bei der
Gärtnerei wohnte. Frau Praml schaute Fanni ganz erschrocken an. Und einen
Augenblick später kam dort, wo der Ring in die Hauptstraße mündete, auch noch
Böckl in seinem Auto daher. Er hob – Fanni hatte es genau gesehen –
belustigt eine Augenbraue.
Fanni hatte tief geseufzt. Es war ja kein Wunder, dass sich die
Nachbarn erstaunt zeigten. Ganz Erlenweiler wusste, dass sie dienstags zum
Einkaufen fuhr, am Mittag, weil da weniger Leute unterwegs waren. Selten,
äußerst selten stieg sie an einem anderen Tag in ihren Wagen und setzte sich
ans Steuer. Falls sie einen Termin – Arzt, Zahnarzt, Friseur –
wahrzunehmen hatte, dann legte sie den auf Dienstag vor oder nach dem
Einkaufen.
Als sie deshalb an diesem Freitag kurz nach zwei Uhr über den
Erlenweiler Ring zur Hauptstraße gekurvt war, fiel sie in ihrem roten Mitsubishi
ungefähr ebenso auf wie in einem illuminierten Kreiselheuer auf dem Münchner
Stachus. Keine Frage, dass Meiser am Abend Hans Rot abfangen würde, um ihm zu
stecken, dass Fanni am Nachmittag mit dem Auto weggefahren war. Meiser würde
wissen wollen, wohin. Nun gut, Hans Rot war präpariert: Bastelnachmittag! Aber,
fragte sich Fanni besorgt, würde Meiser so weit gehen und nachprüfen, ob in der
Kreisstadt zurzeit Bastelkurse liefen? Sie traute es ihm zu.
Der Weg, den Sprudel und Fanni eingeschlagen hatten,
führte bergwärts und gab nach einer Biegung die Aussicht auf die Donau und auf
die Benediktinerabtei Niederalteich frei.
»Schön«, meinte Sprudel, »hier bin ich noch nie gewesen.«
Sie sahen einem Lastkahn nach, der sich gemächlich in die Mühlhamer
Schleife hineinziehen ließ.
»Was sagen deine Vernehmungsprotokolle über die Alibis?«, fragte
Fanni, nachdem das Schiff wie ein Traumbild verschwunden war. »Bleiben
Verdächtige übrig oder hat jeder Einzelne meiner Nachbarn Zeugen für seine
Unschuld?«
»Nur Stuck ist vollkommen entlastet«, sagte Sprudel. »Er war zur
Tatzeit in seinem Büro im Arbeitsamt, das habe ich kontrolliert. Drei seiner
Kollegen haben ihn den ganzen Vormittag über im Blickfeld gehabt. Die anderen
Alibis sind nicht so leicht zu überprüfen. Vier von deinen Nachbarn sind also
weiterhin tatverdächtig.«
» Tat verdächtig«, wiederholte Fanni
bedrückt, »das ist es, was mir Sorgen macht. Bisweilen scheint mir meine
Theorie meilenweit von den Tat sachen entfernt.«
Sprudel sah Fanni scharf an, sagte aber kein Wort.
»Ich weiß wirklich nicht«, fuhr Fanni nach einer Pause fort, »ob das
alles einen Sinn hat. Selbst wenn wir mit der Zeit dies und das zusammentragen
und zu dem Ergebnis kommen, dass einer von den vieren der Täter gewesen sein
könnte, dann können wir noch lange nicht wissen, ob er es auch wirklich war,
und beweisen können wir schon gar nichts.«
»Sehr richtig, Fanni«, antwortete Sprudel, »und genau das habe ich
vor zwei Tagen gemeint, als ich dir gesagt habe, wir haben sehr schöne Beweise gegen den Alten, aber wir haben keine einzige Spur, die auf
eine andere Person hindeutet. Gestern noch wolltest du dieses Argument nicht
gelten lassen. Du hast mir genauestens auseinandergesetzt, warum wir den Alten
als Täter gar nicht in Erwägung ziehen sollten. Du hast mir einleuchtend
geschildert, wie es wirklich gewesen sein könnte. Du vertrittst die Ansicht,
dass es der Alte, auch wenn mit ihm nicht gut Kirschen essen ist,
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