Saure Milch (German Edition)
nicht
verdient hat, für etwas eingesperrt zu werden, das er nicht getan hat. Gut, ich
habe das alles eingesehen, und deshalb habe ich die Nachbarn ins Visier
genommen. Da auf einmal wird dir die Sache zu heikel! Und warum? Weil wir jetzt echte Nachforschungen über echte Menschen anstellen müssen, Menschen, die du seit Jahren kennst, mit denen du
täglich zusammentriffst. Und deshalb willst du jetzt die Flinte ins Korn
werfen.«
Sprudel atmete tief durch, dann stellte er klar: »Fanni, wir müssen
schon konsequent bleiben, wenn wir den Fall aufklären und den alten Klein vor
dem Gefängnis retten wollen!«
Fanni steckte das Kinn in den Jackenkragen und schritt heftig aus.
Sprudel hielt locker mit. Sie stiefelten an einem Weidezaun entlang,
hinter dem eine Herde Schafe graste. Der Hirtenhund kam dahergeprescht, nahm
eine Nase voll Fanni und eine Nase voll Sprudel und zog daraufhin beruhigt
wieder ab.
Fanni hetzte eine Böschung hinauf. Sprudel begann zu hecheln, aber
er gab sich auf keiner Ebene geschlagen.
»Es wäre doch schade, Fanni«, schnaufte er und mühte sich, nicht
einen Schuhbreit zurückzufallen, »schade, jetzt aufzuhören. Ein wenig Mühe
sollten wir uns schon geben. Wenn wir keine neuen Spuren finden, und der Alte
wirklich unschuldig verurteilt wird, dann haben wir wenigstens getan, was wir
konnten.«
Fanni blieb stehen und sah ihn an. »Ich war schon immer ein
Hasenfuß!«
Sprudel musste lachen.
»Wie verhält sich denn das mit diesen DNS -Spuren?«,
fragte Fanni im Weitergehen. »Hätte der Täter in jedem Fall etwas von seiner DNS auf Mirza zurücklassen müssen?«
»Wenn er sie angefasst hat, schon«, sagte Sprudel.
»Das hat er vielleicht gar nicht«, überlegte Fanni laut, »hinter
verschlossenen Türen musste er Mirza nicht packen, um sie festzuhalten, und
draußen im Garten hat er sie vermutlich völlig überrumpelt mit seinem Angriff.
Mit so was hat Mirza sicher nicht gerechnet. Also keine DNS -Spuren
vom Täter!«
»Doch«, sagte Sprudel, »auf der Tatwaffe! Übrigens, welcher von
deinen Rundlingen fehlt denn?«
»Der Achte, vom hinteren Hauseck aus gezählt«, sagte Fanni.
»Den zu finden, das wäre ein Durchbruch«, seufzte Sprudel.
»Weit wird der gar nicht sein«, sagte Fanni, »der Täter hat ihn
wahrscheinlich in die Wiese geworfen, das haben ja die Polizisten von Anfang an
vermutet. Eigentlich hätte er den Rundling wieder zurücklegen können, das wäre
am unauffälligsten gewesen.«
Sie dachte eine Zeit lang nach und sagte dann: »Angenommen, wir
finden den Stein, kann man dann die DNS -Spuren
darauf noch nachweisen? Ich weiß, dass die DNS in Knochen und Knorpeln Jahrzehnte übersteht. Aber in einem Hautschüppchen
scheint sie mir nicht recht gut geschützt.«
»Auch in Blut- und Gewebeproben verhält sie sich sehr lange Zeit
stabil«, antwortete Sprudel.
»Genügen denn die Spuren für eine DNS -Bestimmung,
wenn der Täter den Stein bloß in der Hand gehalten hat?«, fragte Fanni.
»Ich glaube schon«, sagte Sprudel, »aber bevor du anfängst, Fragen
zu stellen, die ich alle nur mit vielleicht und schon möglich beantworten kann, weil ich kein Biochemiker
bin, schlage ich vor, dass ich dir beim nächsten Mal eine Abhandlung mitbringe,
die seit Monaten auf meinem Schreibtisch liegt: DNA -Analyse zur Verbrechensaufklärung , Interesse?«
Keine Frage, Lesestoff war für Fanni wie ein Salatfeld für das
Kaninchen: Fanni las alles kahl. Ihre Vorliebe für Gedrucktes hatte ihr im
Laufe der Jahrzehnte stapelweise Buchgeschenke von Verwandten und Freunden
eingebracht.
Fanni brachte es nicht fertig, ein bereits gelesenes Buch wieder
wegzugeben, und ebenso wenig trennte sie sich von einer Broschüre. Auf diese
Weise hatte sie in ihrem Haus mehr als dreitausend Bücher und jede Menge
Zeitschriften angesammelt. Selbst die Schulbücher ihrer Kinder standen noch in
den Regalen im Obergeschoss.
Fannis Mann drohte von Zeit zu Zeit scherzhaft: »Eines schönen Tages
werden wir uns im Keller wiederfinden, weil die Deckenkonstruktionen das Gewicht
nicht mehr aushalten.«
Fanni wollte Sprudels Abhandlung haben, am liebsten sofort.
»Ich habe neulich ein wenig hineingelesen«, sagte Sprudel,
»interessante Broschüre. Schon der erste Satz hat’s in sich. Da ist von einem
gewissen Alphonse Bertillon die Rede, der als Erster auf Verbrecherjagd mit
wissenschaftlichen Methoden gearbeitet hat.«
»Und ich dachte, das war Sherlock Holmes«, grinste Fanni.
Sie wusste, dass Bertillon
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