Saure Milch (German Edition)
»Fahr
mit dem Zug«, verlangte sie.
»Vera, sei doch vernünftig«, sagte Fanni. »Du weißt ganz genau, dass
ich mit der Bahn den ganzen Tag unterwegs wäre. Ich müsste mindestes fünfmal
umsteigen und hätte stundenlange Wartezeiten. Bleibt zu Hause am Samstag und
passt auf, dass die Kinder fettfrei essen. Es gibt noch genügend Grillpartys in
diesem Sommer.«
»Aber das ist die tollste, die größte, die beste!«, schrie Vera.
So viel ihr Fanni auch zuredete, Vera schniefte: »Ihr seid so
gemein.« Dann legte sie auf.
Fanni kauerte sich mit Sprudels Aktenhefter auf das Sofa im
Wohnzimmer. Sie begann ein Kapitel mit der Überschrift
»Polymerase-Kettenreaktion« zu lesen. Der Text erläuterte, wie sich winzige DNS -Fragmente vervielfältigen lassen, sodass
ausreichend Material für ein Bandenmuster gewonnen werden kann. Aber mit Fannis
Konzentration war es nicht weit her.
Rabenmutter!
Sie klappte die Akte zu und überlegte, ob sie nicht doch allein mit
ihrem Auto nach Klein-Rohrheim fahren sollte. Vera hatte ihre Mutter dringend
gebeten zu kommen, aber was tat die stattdessen? Sich auf dem Sofa räkeln.
Steig morgen früh in den Wagen und fahr los!
Es klang so einfach. Aber Fanni graute davor. Im Freitagsverkehr auf
der Autobahn, eingekeilt zwischen Lastwagen, Bussen und Dränglern. Großer Gott!
Hans Rot würde es sowieso nicht zulassen.
Feigling!
»Ich weiß«, sagte Fanni laut und ging zu Bett.
Freitags kam Fannis Mann manchmal schon am frühen
Nachmittag vom Büro nach Hause, so auch an diesem. Fanni hatte die
Gartenstühle, den Tisch und die Bank abgewaschen und sich danach mit einer
Tasse Kaffee in den Liegestuhl gesetzt.
»Willst du hier durchschmoren in der Sonne?«, fragte die Stimme von
Hans Rot ihren Hinterkopf. Fanni drehte sich um und entdeckte Herrn Meiser
neben ihrem Mann. Meiser grinste und starrte auf Fannis braun gebrannte
Schenkel.
Wozu hat er denn den Meiser aufgegabelt?, knirschte sie insgeheim,
stand auf und ging ins Haus.
Hans Rot holte Bier aus dem Keller und setzte sich mit Meiser an den
Gartentisch.
Fanni zog eine lange Hose an. Dann nahm sie den Marmorkuchen, den
sie fürs Wochenende gebacken hatte, aus der Speisekammer und schnitt ein dickes
Stück davon ab. Sie legte es auf einen Teller, breitete Folie darüber und
hängte sich die Milchkanne ans Handgelenk. Wenn sie schon Vera im Stich ließ,
wollte sie wenigstens mal nach Bene sehen. Sie hatte diesen Besuch ohnehin viel
zu lange hinausgeschoben.
»Ich geh zum Hof hinauf«, sagte sie brüsk, als sie an ihrem Mann und
Meiser vorbeikam. Im nächsten Augenblick lief sie schon über die Wiese.
Bene schmierte gerade eine Radachse ab. Das beruhigte
Fanni. Solange er an seinen Motoren und Maschinen herumbastelt, scheint er
nicht völlig aus der Bahn geworfen zu sein, dachte sie.
»Neues Schmierfett?«, fragte sie, weil neben Bene ein gelb
glänzender Dreilitereimer stand, der höchstens vier schwarze Fingerabdrücke
aufwies.
Bene strahlte Fanni an. »Shell Retinax EP zwo«,
kam es wie aus der Pistole geschossen, »hat mir der Praml besorgt.« Bene
deutete mit einem Knäuel öliger Putzwolle schräg über die Wiese.
»Glänzt schön, das EP zwo«, sagte
Fanni.
Bene lachte. »Die Achs läuft rund, sakrisch rund!«
»Magst eine Pause machen, Bene, und ein Stück Kuchen essen?«, fragte
Fanni.
Bene schwirrte auf die Hausbank.
»Sind deine Viecher alle gesund im Stall?«, erkundigte sich Fanni.
Bene nickte mit vollen Backen. »Stehen alle sauber da. Der Doktor
schaut immer nach.«
Feiner Zug vom Tierarzt, dachte Fanni.
Bene kaute hingebungsvoll. Fanni hätte ihm gerne gesagt, wie leid es
ihr um Mirza tat und wie sehr sie hoffte, der Alte würde wieder gesund werden
und bald zurückkommen. Aber Leid und Hoffnung kann man nicht sehen und auch
nicht anfassen, und deshalb konnte man Bene mit so etwas nicht kommen.
»Bringst du das Heu ein, so ganz alleine?«, fragte sie deshalb.
Bene nickte zuerst, und dann schüttelte er den Kopf. Die Antwort war
klar: Er brachte das Heu ein, aber nicht alleine. Bene schluckte einen Brocken
vom Kuchen und sagte:
»Der Praml, der fährt mit dem Heuwender wie ein richtiger Bauer. Und
mit der Heupresse, mit der versteht er es auch, das ist mir einer, der Praml.«
Fanni schreckte hoch, als ihr eine grobe Stimme ins Ohr hagelte.
»Sitzt der Kretin faul auf der Hausbank und mampft ein Trumm Kuchenstück. Auf
der Stelle schließt du die Melkmaschine an, an deine Rindviecher! Sitzt
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