Saure Milch (German Edition)
dass Mirza ein würdiges Begräbnis
bekommt, und zwar bald. Als Bürger dieses Staates«, fuhr er pathetisch fort,
»haben wir die Pflicht, uns zu engagieren. So einem wie dem Bene wird ja die
Milch in der Melkmaschine sauer, wenn ihm keiner zeigt, wo es langgeht.«
Zustimmendes Gemurmel kroch um das Tischoval. Fannis Mann zückte
seinen Stift.
Und so einem wie dir, Meiser, dachte Fanni, sollte man den Mund
stopfen – mit saurer Milch.
Sie verzog sich in die Küche und machte sich dort zu schaffen, bis
Meiser sein – von allen anderen unterschriebenes – Pamphlet in der
Brusttasche verstaut hatte.
Sie kam mit dem heißen Zwiebelkuchen zurück, und dessen Duft brachte
Frau Meiser auf das Problem, das Meisers als hilfsbereite Nachbarn für Bene
bereits gelöst hatten. »Untergegangen wäre der Bene, komplett untergegangen
mitsamt seinen Rindviechern wäre der Bene – wenn wir uns nicht darum
gekümmert hätten, dass eine erfahrene Hilfe zu ihm kommt.« Bevor sie zum
dritten Mal »komplett untergegangen« sagen konnte, fiel ihr Meiser ins Wort.
»Geweint hat er wie ein kleines Kind, so verzweifelt war er, der
Bene. Ich bin ganz zufällig dazugekommen. Die Kühe haben gebrüllt vor Hunger,
und er hat nicht gewusst, wie viel Kraftfutter er untermischen muss.«
Und die Hexe weiß das?, fragte sich Fanni. Die weiß das besser als
der Bene, der jeden Tag im Stall war mit seinem Vater?
»Dank unserer tüchtigen Christiane«, redete Meiser inzwischen
weiter, »bekommt Bene jetzt regelmäßige Mahlzeiten, seine Wäsche wird
gewaschen, das Haus wird geputzt und nicht bloß das: Christiane sorgt dafür,
dass der Betrieb wie am Schnürchen läuft auf dem Klein-Hof.«
Christiane, wunderte sich Fanni, Meiser nennt die Hexe bei ihrem
Vornamen, und dann machte sie unbesonnen den Mund auf. Kein Kitzeln am linken
kleinen Zeh und kein Zucken am rechten Augenlid warnte sie.
»Mal grob ausgedrückt: In der geschlossenen Psychiatrischen wäre
Bene besser dran als auf dem Hof mit dieser Hexe, die ihn herumscheucht wie ein
Sklaventreiber.«
Es war für einen Moment sehr still um den Tisch. Frau Meiser
krümelte an dem krossen Rand des Zwiebelkuchenstücks herum.
»Christiane«, sagte Herr Meiser plötzlich betont, »ist die Nichte
meiner Frau.«
Fannis Mann sprang auf. »Werde mal Nachschub holen, Weißbier, Pils.«
Meiser nickte ihm zu.
Fanni trank ihren Rotwein aus.
»Der Bene«, verkündete Meiser gewichtig, »der ist zurückgeblieben,
geistig, und deshalb braucht er eine strenge Hand. Wir wissen doch alle, dass
er den ganzen Tag an irgendeinem Stück Schrott herumschraubt, wenn ihn keiner
wegjagt von seinem Spielzeug. Neulich bin ich dazugekommen, wie er das
Thermometer aus dem Kühlbottich ausgebaut hat. Sauber machen wollte er es. Hat
dran herumgekratzt, hat es mit seiner Putzwolle gewienert, und dabei hat er
völlig vergessen, dass die Melkmaschine noch an der letzten Kuh in der Reihe
angeschlossen war.«
Die stellt sich ab, wenn nichts mehr kommt, hat mir Mirza erklärt,
dachte Fanni, hielt aber den Mund und ließ Meiser das Wort.
»Die Christiane meint es nur gut mit dem Bene.«
Oh Herr, schütze uns vor unseren Feinden und vor denen, die es gut
mit uns meinen, betete Fanni still.
»Komplett untergegangen«, sagte Frau Meiser.
Teil III
1.
Fanni und Sprudel saßen auf der Bank aus Baumstämmen, die
ein Stückchen unterhalb des felsigen Gipfelaufbaus vom Klosterstein stand. Das
Gipfelkreuz warf einen schmalen Schatten.
Es war Montag, der 27. Juni, drei Uhr
nachmittags. Fanni und Sprudel aßen Quarkschnitten zum Kaffee aus der
Thermoskanne.
Die Sonne, die sich seit dem Morgen hartnäckig versteckt hatte, kam
plötzlich hinter den Wolken hervor. Fanni krempelte die Ärmel ihrer
Trekkingbluse auf.
»Hast du dich heute schon mit jemandem geprügelt?«, fragte Sprudel
und deutete auf eine Abschürfung, die sich tiefrot und entzündet über ihren
gesamten recht Unterarm erstreckte.
»Kleine Unachtsamkeit«, versuchte Fanni darüber hinwegzugehen, aber
Sprudel bohrte nach, bis sie erzählte, was sich mittags in ihrer Garage
zugetragen hatte.
Wie jeden Montagvormittag hatte Fanni im Haus abgestaubt,
gesaugt und den Papiermüll zusammengetragen.
Sie stellte einen großen Plastikkorb, in dem sie Einwickelpapier,
Tüten sowie kleine Kartons sammelte, in den Flur und warf alte Zeitungen,
Webeprospekte und Versandhauskataloge hinein, bis er voll war. Gegen
Mittag – das Essen stand bereits fertig auf dem
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