Saure Milch (German Edition)
zerstritten, bevor sie im Grundbuchamt zusammengespannt
wurden?«, fragte Sprudel.
»Nein«, sagte Fanni, »aber gleich darauf. Mir ist auch wieder
eingefallen, warum. Kundler hat seine Ligusterhecke an der Grenze zu Meisers
Grundstück ein paar Zentimeter über die erlaubte Marke wachsen lassen. Meiser
hat ihm deswegen eine harsche Abmahnung geschickt.«
»Das hätte doch nicht gleich den kalten Krieg heraufbeschwören
müssen«, wandte Sprudel ein.
»Das nicht«, sagte Fanni, »aber kurze Zeit später haben Meisers
erzählt, Kundler hätte aus purer Rache ihren schönen Apfelbaum vergiftet. Den
mit den guten Boskop, der ziemlich nah an der Grenze gestanden hat. Das
Komische war nur, dass keiner der Nachbarn je einen Apfelbaum auf Meisers
Grundstück gesehen hat. Obstbäume sind sowieso fehl am Platz in Meisers Garten,
weil die im Herbst ihre Blätter fallen lassen, mitten auf den Rasen.«
Sprudel lachte und sagte dann: »Mit der Wahrheit nimmt es Meiser
vielleicht nicht so genau wie mit seinen Grashalmen und seinen Heckenzäunen.
Ich bin gespannt, was er für ein Alibi hat.«
»Keines«, gab Fanni zurück, »Meiser war zu Hause. Als ich an dem
Unglückstag aus der Haustür gekommen bin, um zum Kompost zu gehen, habe ich
Meiser gesehen, wie er seine Rundlinge an der Hausfront umgeschichtet hat.
Vielleicht war einer gewachsen oder geschrumpft über Nacht.«
»Meiser hat die Tatwaffe einsortiert!«, rief Sprudel.
Fanni schüttelte den Kopf. »Das hätte man sofort gesehen. Meisers
Rundlinge sind sehr hell, fast weiß. Mein grauer Granitstein würde darunter
auffallen wie ein blaues Blatt an einer Birke.«
»Schau doch mal nach, wenn Meisers nicht zu Hause sind«, bat
Sprudel, »ob wirklich kein grauer unter den weißen Rundlingen ist.«
Fanni versprach es ihm.
Es wurde Abend, sie bekamen Hunger, und deshalb setzten
sie sich in einen der Biergärten am Seeufer.
»Ich möchte mich gerne noch mal mit dem alten Klein unterhalten«,
sagte Sprudel bei Emmentaler und Schwarzbrot, »privat«, fügte er hinzu. »Ich
will Klein im Krankenhaus besuchen wie einen alten Bekannten. Den Berichten
nach hat er sich erstaunlich gut erholt. Vielleicht freut er sich sogar, wenn
jemand kommt.«
»Du spekulierst darauf«, grinste Fanni und schnitt sich drei
Zentimeter von einer Rettichspirale ab, »dass der Alte drauflos plappert wie
ein Kind. Ein Kind, das auf die Nase gefallen ist und nach dem ersten Schrecken
gemerkt hat, dass es sich überhaupt nicht wehgetan hat.«
»Kommst du mit?«, fragte Sprudel.
»Treffen wir uns morgen Nachmittag, so gegen zwei, auf dem Parkplatz
vor der Klinik«, sagte Fanni.
Es war schon nach Mitternacht, als Fanni nach Hause
zurückkam. Sprudel hatte sich geweigert, sie an der Hauptstraße aussteigen zu
lassen. Er war bis vor die Haustür gefahren, hatte den Wagen abgestellt und
gewartet.
Fanni ging hinein, machte überall das Licht an und sah nach, ob die
Terrassentür verriegelt war. Dann starrte sie aus dem Fenster. Es dauerte lang,
bis sie Sprudel den Wagen anlassen hörte. Sie blickte dem Auto nach, als es aus
der Zufahrt in den Erlenweiler Ring bog und auf die Hauptstraße zurollte.
Geh zu Bett, Fanni Rot, und denk daran, was du
dir vor mehr als dreißig Jahren geschworen hast!
Trotzdem, es ließ sich nicht mehr verschweigen, dass Sprudel bei
Fanni inzwischen hoch im Kurs stand. Er hatte Fernsehkommissar Leitmayr längst
den Rang abgelaufen. Den fand Fanni sowieso recht lasch in letzter Zeit.
»Glaubst du«, meinte sie neulich mitten im Film zu Wachtveitl sagen
zu müssen, als er dasig an seinem Schreibtisch klebte, »glaubst du vielleicht,
das ist mitreißend, wenn du dreinschaust wie ein verirrtes Schaf?«
Daraufhin hatte sie kurzerhand den Fernsehapparat ausgeschaltet, und
so etwas war noch nicht vorgekommen, seit Hans-Jörg Felmy in den Siebzigern
Kommissar Haferkamp spielte.
4.
Sie fanden Klein in einem Zimmer mit drei anderen
Patienten. Keine blinkenden Monitore, keine Infusionskanülen, kein
Sauerstoffgerät.
Sprudel hatte richtig kalkuliert. Als Klein kapiert hatte, dass
Besuch für ihn da war, in aller Freundschaft, zivil und ohne Mikrofon, da
spuckte er in einem einzigen Schwall aus, was ihm gut sechzig Jahre lang sauer
aufgestoßen war.
Immer hat er zu kämpfen gehabt, sein ganzes Leben lang, als Kind
schon, sagte Klein. Sein Vater sei ein grantiger Eigenbrötler gewesen, der an
nichts und niemandem ein gutes Haar ließ. Er hatte ihn, den Sohn, gehalten wie
einen
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