Saure Milch (German Edition)
doch
auch selber rupfen‹, hat er zu Meiser gesagt. ›Aber‹, sagt Meiser, ›so nicht!
Ich lass mir nicht auf der Nase herumtanzen von dem Böckl‹, sagt Meiser.«
»Frau Praml hat mir da gerade eine ganz andere Geschichte erzählt«,
meinte Fanni darauf.
»Die alte Kreissäge? Was weiß denn die?«
Fanni erzählte es ihm.
»Das tut der Meiser nicht«, saugte Fannis Mann aus einer
Gurkenscheibe. »Der Meiser ist kein Grapscher. Der Meiser hat Anstand. Und
wenn«, schmatzte Hans Rot laut, »wenn ihm wirklich die Hand auf den Hintern von
der Böckl gerutscht ist, dann muss sich die noch lange nicht so haben deswegen.
Da steh ich vollkommen auf der Seite vom Meiser.«
Dachte ich mir schon, sagte sich Fanni und räumte den Tisch ab.
Wer lügt wohl?, sinnierte Fanni über ihrem Abwasch. Meiser erzählt
einen Haufen Geschichten und interpretiert dabei die Wahrheit auf seine ganz
eigene Weise. Ist Meiser ein Lügner oder bloß ein Schwätzer? Mit Aushorchen ist
ihm nicht beizukommen, weil er in Windeseile aus echten und aus erfundenen
Fäden ein Gewebe strickt, das so leicht nicht aufzutrennen ist.
Böckl ist mit Aushorchen noch weniger beizukommen, weil Böckl lieber
den Mund hält, als sich beim Flunkern ertappen zu lassen.
Was weiß ich schon über Böckl?, fragte sich Fanni. Gar nichts. Seit
fast dreißig Jahren wohne ich keine zwanzig Meter entfernt von ihm und bin noch
nie in seinem Haus, noch nicht einmal in seinem Garten gewesen.
Fanni ließ vor Schreck das Brotmesser fallen, das sie gerade
abtrocknen wollte. Böckls Garten! In Böckls Garten lagen Granitrundlinge. Sie
häuften sich zwischen Kakteentöpfen vor Böckls Terrasse. Fanni hatte die
Rundlinge vor kaum zwei Stunden gesehen, als sie von Frau Meiser um Meisers
Haus herumgeführt worden war. Der Weg verlief teilweise an der Grenze zu Böckls
Garten. Fanni war so auf Meisers weiße Steine fixiert gewesen, dass ihr Böckls
graue nicht ins Bewusstsein gedrungen waren.
Ich muss mir unbedingt Böckls Rundlinge anschauen, sagte sich Fanni
und hob das Brotmesser auf. Morgen früh, wenn Böckl in seinem Geschäft ist.
Montags nimmt er auch immer seine Frau mit, weil der Gehilfe freihat.
Am nächsten Morgen, gegen halb neun, spazierte Fanni in
Böckls Einfahrt, ging zur Haustür, tat, als wolle sie klingeln, und sah sich
um. Die Straße war leer, auch Meiser war nirgends zu entdecken. Fanni schlüpfte
an Böckls Garage vorbei, eilte über ein Rasenstück und stand vor Böckls
Terrasse. Als Fanni zwischen den Kakteen in die Hocke ging, sah sie auf den
ersten Blick, dass Böckls Rundlinge von ihren Steinen leicht zu unterscheiden
waren. Sie waren viel gröber, hatten sogar Ecken und Kanten. Fanni schaute sich
jeden einzelnen an. Derjenige, der an ihrer Hausmauer fehlte, war nicht dabei.
Weil sie schon mal hier war und weil sich Meiser nicht blicken ließ,
schlich Fanni an Böckls Terrasse entlang und weiter bis zum Hauseck. Sie
passierte drei Kellerfenster, das letzte stand offen. Fanni ließ sich auf die
Knie nieder und schaute hinein. Sie sah nur Schwärze, und deshalb schob sie
Kopf und Schultern durch die sofakissengroße Öffnung. Inzwischen hatte sich
Fannis Netzhaut den Lichtverhältnissen angepasst, und Fanni konnte im
Kellerraum an der rechten Wand Böckls Arbeitstisch erkennen. Röhrchen,
Schrauben und kleine, glänzende Metallteilchen lagen darauf herum.
Ein zerlegtes Gewehr, vermutete Fanni und nahm die gegenüberliegende
Wand ins Visier. Dabei schob sie den halben Oberkörper durch das Fenster, weil
die Wand so weit links im Schatten lag. Fanni machte einen zerbrochen
Granittrog aus – Böckl wollte ihn wohl reparieren. Sie entdeckte etliche
Blumentöpfe aus Ton und dahinter einen kleinen Berg Granitrundlinge –
Nachschub für den Kakteengarten.
Die schau ich mir an, sagte sich Fanni. Sie schlängelte sich
rückwärts aus der Fensteröffnung, setzte sich auf den Boden und steckte die
Beine hinein. Dann stützte sie sich mit beiden Händen am Fensterbrett ab und
schob den Hintern durch. Sie machte sich lang und berührte mit den Zehen den
Boden. Restfanni konnte nachkommen. Sobald sie komplett im Raum war, suchte
Fanni nach dem Schalter und machte das Licht an. Böckls Werkstattlampe strahlte
heller als ein Stadionscheinwerfer. Fanni hockte sich vor den Berg aus
Rundlingen. Die Steine waren neu und sauber, und keiner sah so aus, als hätte
er einmal neben Fannis Haus gelegen. Sie sah sich noch ein Weilchen im
Kellerraum um, fand nichts
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