Saure Milch (German Edition)
Bestatter mit einigen Schriftstücken in der Hand zurückkam.
Als er im
Aussegnungsraum verschwunden war, riskierte sie erneut einen Blick und konnte
beobachten, wie die beiden Herren in den dunklen Anzügen einen geschlossenen
Sarg von einem Podest auf die Rollbahre schoben. Einen Augenblick später glitt
der Sarg an ihr vorbei.
Die Tür blieb offen.
Fanni trat einen Schritt
näher und schaute in den Raum, der von einem leisen Brummen erfüllt war. Der
Mann in Arbeitskleidung bestückte soeben zwei silberne Ständer mit frischen Kerzen.
Fanni kannte ihn vom Sehen:
Knollennase, schütteres Haar, Wieselaugen – es war der Hausmeister. Offenbar
hatte er ihren Blick gespürt, denn er drehte sich abrupt zu ihr um.
»Was wollen Sie denn?
Sich von Herrn Bonner verabschieden? Zu spät. Er ist gerade weg.«
»Zu spät«, echote Fanni
und fügte ein »Schade« hinzu.
»Ja dann«, sagte der
Hausmeister, weil sich Fanni nicht von der Stelle rührte. Sie hatte in einer
Ecke einen riesigen grauen Müllsack entdeckt, der prall gefüllt und oben
zugebunden war. Er lehnte schräg im Winkel der beiden Außenwände, machte aber
den Eindruck, als wolle er nicht mehr lange stehen bleiben. Aus jener Ecke
schien auch das Brummen zu kommen.
Fanni gelang es nicht,
den Blick von dem Müllsack loszureißen.
»Herr Bonner kommt nicht
mehr«, sagte der Hausmeister.
»Und wer kommt jetzt?«,
fragte Fanni.
»Hä?«
»Wer ist denn gestorben?
Sie dekorieren doch gerade neu.« Fanni deutete auf zwei Bodenvasen, in denen
Asparagus und je drei weiße Lilien steckten, die sie für künstlich hielt.
»Gestorben? Hä? Der
Nächste halt.«
Fanni hatte den Raum
betreten und bewegte sich unauffällig in Richtung des Müllsacks. Dazu musste
sie an einem Möbelstück vorbei, das sich an der rückwärtigen Wand befand und
mit einem Gobelin zugedeckt war, auf dem ein Asparagus-Lilien-Bukett lag.
Hört es
sich nicht so an, als käme das Brummen direkt aus dem Gobelin?
Klar, begriff Fanni, der
Kasten darunter ist die Quelle des Brummens.
Plötzlich zog sie die
Nase kraus.
Die Lilien auf dem
verhüllten Kasten, die Fanni ebenfalls für künstlich hielt, verströmten einen
intensiven Geruch nach … Wonach bloß?, fragte sie sich.
Nach
parfümiertem Kompost!
Ja, dachte Fanni,
süßlich und ein bisschen faulig.
Sie vermutete, dass das
Bukett als Blumenschmuck für den Verstorbenen vorgesehen war, der gleich hier
aufgebahrt werden sollte.
»Hä …«, machte der
Hausmeister.
Fanni lächelte ihn an.
»Was für ein wunderhübsches Bukett.«
»Abschiedsgruß von der
Heimleitung«, erklärte der Hausmeister daraufhin griesgrämig, nahm einen Besen
und fing an, den Fußboden zu fegen.
Fanni stand jetzt neben
dem Müllsack. Sie stieß mit der Fußspitze dagegen, was ihn ein Stückchen weiter
in die Schräge rutschen ließ.
»Fällt ja eine Menge
Müll an, in so einem Aussegnungsraum«, sagte sie.
Der Hausmeister rückte
mit seinem Besen näher. »Verwelktes Gewächs, verdreckter Zellstoff, stinkt wie
der Teufel, das Zeug.« Er packte den Müllsack, der offensichtlich schwer war,
und schleifte ihn zur Tür.
Fanni folgte ihm. »Wo
bringen Sie –?«
Der Hausmeister ließ sie
nicht ausreden. »Gute Frau, Sie stehn hier im Weg. Ich muss da drin jetzt
fertig werden. Hab nicht den ganzen Tag Zeit, hä.« Er ließ den Müllsack los,
der umkippte und als Hügel auf dem Boden liegen blieb.
»Entschuldigen Sie, dass
ich Sie gestört habe«, erwiderte Fanni und legte eine Hand auf den Hügel. Sie
fühlte Drahtgeflecht, dicke, harte Stängel und weiche, runde Klumpen.
Was
du fühlst, ist das verwelkte Bukett, das Herrn Bonners Leiche geziert hat! Die
Lilien sind eben doch echt, sie riechen ja auch! Hast du wirklich gemeint, in
dem Müllsack steckt Roland drin? Du hast sie doch nicht alle, Fanni!
Fanni verdrückte sich.
Sie trottete den Gang
zum Schwimmbad hinunter, schaute in die leere Halle, blickte auf die unbewegte
Wasserfläche.
Gleich
fünf! Es ist Abendessenszeit! Da geht keiner baden! Vermeintlich tote Pfleger
schon gar nicht!
Fanni kehrte um und
beschloss, noch in der Kapelle und im Kaffeestüberl nachzusehen. Irgendwo
musste Roland doch sein. Weit konnte er sich nicht geschleppt haben mit einer
Wunde mitten in der Brust.
Sie fand nirgends eine
Spur von ihm.
Du
solltest dich mal lieber auf den Weg zu Tante Luise machen.
Tante Luise!
Allerdings!
Sie wartet schon seit einer guten Stunde auf dich! Willst du die Suche nach
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