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Savannah

Savannah

Titel: Savannah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Lael Miller
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zuvor noch am Leib getragen hatte.
    Savannah hatte den Eindruck, dass der Mann ein bisschen erstaunt war - so, als hätte er erwartet, an einem anderen Ort aufzuwachen oder vielleicht auch gar nicht mehr. In diesem Moment wurde ihr blitzartig klar, dass dieser Mann - genau wie sie auch - immer ein Außenseiter bleiben würde, der nirgends ganz dazugehörte.
    »Guten Morgen«, sagte er irgendwie vergnügt. Er nickte erst Savannah und dann June kurz zu. »Vielen Dank für das Hemd und die Hose.«
    Junes Gesicht verzog sich einen Augenblick lang schmerzhaft, aber dann glätteten sich ihre Züge wieder. »Ich habe das Hemd Weihnachten '59 für Wesley genäht«, sagte sie. »Er hat es ganz besonders gerne getragen.« Sie seufzte leise. »Es tut gut, dass es wieder jemand trägt.«
    Einen Moment herrschte bedrückendes Schweigen, aber dann öffnete sich die Tür und Jacob kam herein. Die Kinder schienen schon in der Schule zu sein, denn sie waren weder zu sehen noch zu hören.
    »Sie sind ja sauberer, als ich mir hatte vorstellen können«, sagte der Meister der Kutschstation.
    Savannah lachte hinter der vorgehaltenen Hand, denn sie war ebenfalls vollkommen verblüfft, wie sich der Doktor verändert hatte. Er sah einerseits höllisch gut aus, aber er strahlte auch von innen ein Vertrauen in seine Kraft und seine Fähigkeiten aus, eine Zuversicht, die sie diesem Mann gar nicht zugetraut hätte. Obwohl sie ihm gegenüber immer noch misstrauisch war, musste sie sich selbst zugestehen, dass sie den Mann vielleicht doch unterschätzt hatte.
    June trat hinter den Doktor und schob ihn zum Tisch, wie eine Mutterglucke ihr streunendes Kleinchen eingefangen hätte. Er setzte sich und schaute zweifelnd auf den Teller mit Pfannkuchen, den sie ihm vorsetzte.
    »Essen Sie das«, befahl June. Es klang zwar freundlich, aber trotzdem ließ sie keinen Zweifel aufkommen, dass sie keinen Widerspruch dulden würde. »Sie sehen halb verhungert aus.«
    Savannah sollte eigentlich schon längst im Brimestone Saloon sein, wo sie mit Trey verabredet war, um mit ihrem Partner die Arbeitseinteilung festzulegen. Sie vermutete, dass auch auf Jacob eigentlich jede Menge Arbeit wartete, aber trotzdem lungerten sie in der Halle der Station herum und beobachteten den Fremden mit Verwunderung und Neugier. Es schien fast so, dass ein Mensch, der vage an Dr. Parrish erinnerte, während der Nacht in die Haut des Doktors geschlüpft sei, um seinen Platz einzunehmen.
    Parrish seufzte, hob die Gabel und schob sich vorsichtig ein kleines Stück in den Mund. Dann noch eines und noch eines. Es war irgendwie ein erhebender Moment, diesen Mann essen zu sehen, auch wenn Savannah sich nicht erklären konnte, wieso eine so normale Sache etwas Besonderes sein konnte. Als der Doktor merkte, dass alle ihn anstarrten, wirkte er ein bisschen indigniert und Savannah und Jacob wandten schnell ihre Blicke ab.
    Da sie entschlossen war den Tag gut zu nutzen, lief Savannah zuerst in ihr Zimmer, um ihre Handtasche zu holen, und dann ging sie mit entschlossenen Schritten zum Brimestone Saloon. Sie brauchte nicht lange, um die Bar zu finden, denn das Gebäude lag nur knapp einhundert Meter von der Station entfernt; man musste nur dem ausgewaschenen Trampelpfad folgen, aus dem eines Tages mal eine Straße werden sollte. Das kleine Schulhaus lag der Bar direkt gegenüber und sie fragte sich, wessen >bril lante< Idee es gewesen sein mochte, die Schule direkt neben den Saloon zu bauen. Aber dann entschied sie, dass es ihr ja im Grunde gleichgültig sein konnte. Beide Gebäude waren nun mal da, sie wirkten solide und keines würde dem anderen weichen.
    Für Savannah war es gleichzeitig eine Enttäuschung und eine Erleichterung, dass keine Kinder im hohen Gras auf dem Schulhof spielten, der die Schule umgab. Sie war vernarrt in Kinder, aber sie hatte gelernt, dass es besser war, wenn sie sich fern von ihnen hielt und sie vor allem nicht in Gegenwart ihrer Eltern anzusprechen. Zu oft hatte sie die schmerzhafte Erfahrung machen müssen, dass ein Vater oder eine Mutter das Kind von ihr weggerissen hatte, als wäre sie eine Art Monster oder hätte eine ansteckende Krankheit.
    So wandte Savannah - mit diesem ihr vertrauten leichten Schmerz ums Herz - der Schule den Rücken zu und betrachtete den Saloon, in den sie jeden Dollar gesteckt hatte, den sie in den zehn Jahren zur Seite gelegt hatte, seit sie zum ersten Mal in einer Bar gesungen hatte. Sie konnte gut mit Geld umgehen, legte keinen Wert

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