Saxnot stirbt nie - Odo und Lupus Kommissare Karls des Grossen - Zweiter Roman
mein Leser sein, und wie immer ermächtige ich Dich, meine Erzählung an einige Brüder Deines Vertrauens weiterzugeben. Sollen sie nur erfahren, dass nicht überall das asketische und monastische Leben einen so hohen Grad der Gottgefälligkeit erreicht hat wie bei Euch. Die Lektüre wird ihnen als Warnung dienen und ihre Wachsamkeit stärken.
Es versteht sich übrigens, dass ich die Schrift erst an Euch absenden kann, wenn das Hofgericht sein Urteil gesprochen hat. Trotz der veränderten Namen und Eurer erprobten Verschwiegenheit könnten irgendwelche Gerüchte aufkommen, die das Verfahren störend beeinflussen würden. So kann ich Euch am Schluss auch noch mitteilen, wie die Sache hier ausgegangen ist.
Nun aber erst einmal die Geschichte.
Es war Anfang September, wir waren diesmal – zu Odos großer Befriedigung – unterwegs nach Paris. Die Mosel hatten wir überquert und nun zogen wir durch die neustrischen Grafschaften. Ohne uns sonderlich zu beeilen, meist schon am Nachmittag eine Herberge aufsuchend, ritten wir durch die liebliche, sanft gewellte, vom Sonnenlicht übergossene Landschaft, in der sich so viele, für unser Frankenreich schicksalhafte Ereignisse abgespielt haben. Da hier an Grafensitzen, Königsgütern und Klöstern kein Mangel ist, genügte meistens schon eine halbe Tagereise, um von einer gastlichen Stätte zur anderen zu gelangen.
Wir reisten im besonderen Auftrage des Herrn Pfalzgrafen, des nach dem König obersten Richters im Reiche. Es war in der Gegend um die alte Hauptstadt der Merowingerkönige zu Streitereien zwischen Benefiziaten gekommen, in die auch ein Bischof verwickelt war. Ein paar Äcker, Wälder und Dörfer hatten zu Recht oder zu Unrecht den Besitzer gewechselt. Wir sollten die alten Urkunden überprüfen und Übergriffe, wenn nötig, rückgängig machen.
Solche Aufträge sind nicht angenehm. Die Habgier ist bekanntlich der zählebigste Teil des Menschen, nicht selten lebt sie noch weiter, nachdem er selbst längst gestorben ist. Zum Beispiel in einem Erbe, das er hinterlässt, obwohl es ihm niemals gehört hat, oder in einem Anspruch, um den er bis zuletzt gestritten hat und an dem seine Söhne hartnäckig festhalten. Wir waren darauf gefasst, nicht mit offenen Armen empfangen zu werden. Auch deshalb hatten wir es nicht eilig.
Dennoch wären wir nie in diese üble Geschichte hineingeraten, hätten wir uns nur immer auf der geraden Straße gehalten. Aber Odo, mein Amtsgefährte, war hier schon fast zu Hause (er stammt ja aus Reims) und so gelang es ihm nicht, seine Nase nur einfach geradeaus auf das Ziel zu richten. Er stieß sie mal hierhin, mal dorthin, wobei er seitlich der Straße manches entdeckte, was ihm bekannt vorkam oder woran sich Erinnerungen knüpften: hier einen Hügel, dort eine Brücke, woanders einen halb verfallenen Turm. Ohne uns lange zu fragen, gab er dann Impetus, seinem Grauschimmel, die Sporen und das edle, feurige Tier ließ sich nur zu gern zu einem kurzen Galopp verführen. Was blieb mir und den anderen Männern unseres Trupps anderes übrig als am Rande der Straße zu rasten? Oft genug musste ich nach einer Stunde oder mehr meinen treuen Eselshengst Grisel in Bewegung setzen, um Odo zu suchen oder zurückzuholen.
An diesem Tag nun, die Mittagszeit war schon vorüber, hatte er uns mehrmals aufgehalten und ich konnte nicht anders, als ihm Vorwürfe zu machen. Der Wortwechsel wurde heftig, denn ich hatte meinen Reiseplan entrollt und festgestellt, dass wir diesmal unser Ziel, den nächsten Herrensitz, vor Einbruch der Dunkelheit nicht erreichen würden. Odo ließ sich aber davon nicht beeindrucken. Er richtete sich im Sattel auf, blickte spöttisch zu mir herab, strich seinen prächtigen Schnurrbart und sagte:
„Fürchtest du wirklich, ängstliche Mönchsseele, du müsstest hier unter freiem Himmel nächtigen? In der Heimat des Odo von Reims? Jedermann wird uns hier Unterkunft bieten, sogar die Füchse in ihrem Bau. Also beruhige dich und folge mir! Ich habe hier in der Gegend einen Vetter, den wollen wir aufsuchen. Er ist ein ausgezeichneter Mann, der zu leben versteht und nach alter fränkischer Sitte die Gastfreundschaft hochhält. Er hat zwei hoffnungsvolle Söhne, auch seine Tochter ist inzwischen kein Kind mehr. Ich würde mich freuen, sie alle wiederzusehen. Dort hinter den Hügeln muss es sein. Also vorwärts!“
Unsere Leute antworteten mit freudigem Zuruf und schon waren die Pferde und Wagen auf einen schmalen Pfad gelenkt, der im
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