Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
alles blanker Unsinn sein – ich hoffe es; und ich glaube fest, daß sich drüben bei Dir noch etwas findet, was den Fakten eine völlig neue Deutung gibt. Auf jeden Fall müssen wir ihnen aber nachgehen. Ich würde ja anbieten, den Fall einem anderen zu übergeben, aber dieser andere könnte am Ende noch voreiligere Schlüsse ziehen als ich und alles restlos verderben. Falls Du es allerdings wünschst, werde ich auf der Stelle krank. Laß es mich wissen. Solltest Du es für besser halten, wenn ich weiter hier herumgrabe, könntest Du mir dann ein Foto von Lady Mary Wimsey besorgen und möglichst etwas über den Brillantkamm und die grünäugige Katze aus ihr herausbekommen – sowie die genauen Daten feststellen, wann Lady Mary im Februar in Paris war? Schreib mir bitte, wie Du drüben weiterkommst.
Stets Dein
Charles Parker«
Er las Brief und Bericht noch einmal sorgfältig durch und tat sie in einen Umschlag. Dann schrieb er noch einen Brief an seine Schwester, packte fein säuberlich sein Päckchen und läutete nach dem Hoteldiener.
»Dieser Brief soll sofort per Einschreiben abgehen«, sagte er, »und das Päckchen morgen früh.«
Danach legte er sich ins Bett und las sich mit einem Kommentar zum Brief an die Hebräer in Schlaf.
Lord Peters Antwort kam postwendend:
»Lieber Charles,
zerbrich Dir nicht den Kopf. Mir gefällt der Stand der Dinge auch nicht so besonders, aber ich weiß lieber Dich mit dem Fall betraut als jeden anderen. Wie Du sagst, dem normalen Polizisten ist es gleichgültig, wen er verhaftet, Hauptsache, er verhaftet überhaupt jemanden, und es ist im großen und ganzen nicht sehr erquicklich, so einen in seinem Privatleben herumschnüffeln zu lassen. Ich werde alles daransetzen, meinen Bruder freizubekommen – das ist letztlich und endlich das wichtigste, und alles andere wäre besser, als wenn Jerry für ein Verbrechen gehängt würde, das er nicht begangen hat. Wer es auch immer war, es ist auf jeden Fall richtiger, den Schuldigen dafür zu hängen als einen Unschuldigen. Ermittle also weiter.
>Ich lege Dir zwei Fotos bei – die einzigen, die ich zur Zeit auftreiben kann. Das eine in der Schwesterntracht ist ziemlich schlecht, und auf dem anderen ist unter dem großen Hut kaum etwas von ihr zu sehen.
Ich hatte hier am Mittwoch ein recht merkwürdiges Abenteuer, von dem ich Dir erzählen werde, wenn wir wieder zusammen sind. Ich habe eine Frau kennengelernt, die offensichtlich mehr weiß, als sie wissen dürfte, sowie einen vielversprechenden Schurken – allerdings fürchte ich, er hat ein Alibi. Außerdem habe ich eine dunkle Ahnung, was es mit Schuhgröße 45 auf sich haben könnte. In Northallerton ist nicht viel passiert, nur daß Jerry natürlich bis zum Prozeß in Untersuchungshaft bleibt. Meine Mutter ist hier, Gott sei Dank! Ich hoffe, sie kann Mary ein wenig zur Vernunft bringen, aber an den letzten beiden Tagen war es noch schlimmer mit ihr – mit Mary, meine ich, nicht mit meiner Mutter –, immer furchtbar übel und so weiter. Dr. Soundso – ein Esel, wie er im Buche steht – weiß nichts mit ihr anzufangen. Mutter sagt, ihr sei alles sonnenklar, und sie werde das in Ordnung bringen, wenn ich mich noch ein, zwei Tage gedulden könnte. Ich habe sie Mary nach dem Kamm und der Katze fragen lassen. Mary leugnet die Katze rundweg ab, gibt aber den in Paris gekauften Brillantkamm zu – sie will ihn selbst gekauft haben. Er ist in London – ich werde ihn besorgen und Dir schicken. Sie sagt, sie kann sich nicht erinnern, wo sie ihn gekauft hat; die Rechnung hat sie auch nicht mehr, aber er habe nicht annähernd 7500 Francs gekostet. In Paris ist sie vom 2. bis 20. Februar gewesen. Meine Hauptaufgabe ist es jetzt, zu Lubbock zu gehen und eine kleine Angelegenheit zu klären, die mit Silbersand zu tun hat.
Das Assisengericht wird in der ersten Novemberwoche tagen – also Ende nächster Woche. Das macht die Sache ein bißchen eilig, was aber keine Rolle spielt, weil ihm da gar nicht der Prozeß gemacht werden kann; wichtig ist erst das Große Geschworenengericht, denn das muß auf Grund der vorliegenden Fakten eine Anklageschrift formulieren. Danach können wir die Sache hinausziehen, so lange wir wollen. Das wird noch ein furchtbarer Trubel. Parlamentssitzung und so weiter. Der gute Biggs ist unter seiner glatten Oberfläche ganz schön in Aufruhr. Ich habe mir nie richtig klargemacht, was es für ein Theater ist, einem Peer den Prozeß zu machen. Das kommt anscheinend nur
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