Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
alle sechzig Jahre einmal vor, und das Verfahren geht wohl noch auf Königin Elisabeth zurück. Man muß eigens einen Großhofmeister ernennen und weiß Gott was noch alles. Bei der Ernennung müssen sie peinlichst darauf achten, daß sie nur für diesen einen Zweck gilt, denn irgendwann unter Richard III. hatten sie mal einen Großhofmeister, der so machthungrig war, daß sie ihn gar nicht mehr loswurden. Als Heinrich IV. auf den Thron kam und dieses Amt an die Krone fiel, hat er es darum vorsichtshalber behalten, und jetzt verleihen sie den Titel nur noch pro tempore für Krönungen und Veranstaltungen wie die mit Jerry. Der König tut immer so, als wüßte er gar nicht, daß er keinen Großhofmeister hat, und ist maßlos erstaunt, daß er sich jemanden für den Posten ausdenken muß. Hast Du das alles gewußt? Ich nicht. Ich hab's Biggy aus der Nase gezogen.
Kopf hoch. Tu so, als wüßtest Du nicht, daß es sich bei einigen der Beteiligten um Verwandte von mir handelt. Meine Mutter sendet Dir herzliche Grüße und was noch alles und hofft, Dich bald mal wiederzusehen. Bunter läßt Dir irgend etwas Korrektes und Respektvolles ausrichten; ich habe vergessen, was.
Schöne Grüße von Spürhund zu Spürhund
Dein
Peter Wimsey«
Es darf hier gleich erwähnt werden, daß die Fotos keinerlei neue Aufschlüsse erbrachten.
Kleine Schwester ärgerlich
»Ich will ins öffentliche Leben einbringen, was jedermann von seiner Mutter mitbekommt.«
Lady Astor
Am Eröffnungstag des Assisengerichts in York erhob die Geschworenenkammer Anklage wegen Mordes gegen Gerald Herzog von Denver. Nachdem Gerald Herzog von Denver demzufolge dem Gericht vorgeführt worden war, beliebte es dem Richter, festzustellen (was sämtliche Zeitungen des Landes allerdings schon seit vierzehn Tagen der Welt verkündeten), daß er als kleiner Feld-, Wald-und Wiesenrichter mitsamt seiner plebejischen Jury nicht zuständig war, einem Peer des Königreichs den Prozeß zu machen. Er fügte jedoch hinzu, daß er es nicht versäumen werde, den Lordkanzler (der sich ebenfalls schon seit vierzehn Tagen über die Besetzung der Königlichen Galerie und die Auswahl der Lords für den parlamentarischen Sonderausschuß insgeheim den Kopf zerbrach) zu informieren. Nachdem dies ordnungsgemäß protokolliert war, wurde der wohlgeborene Untersuchungsgefangene wieder abgeführt.
Einen oder zwei Tage später läutete Mr. Charles Parker im Dämmerlicht eines Londoner Nachmittags im zweiten Stock des Hauses Piccadilly 110 A. Die Tür wurde von Bunter geöffnet, der ihm freundlich lächelnd mitteilte, daß Lord Peter für ein paar Minuten ausgegangen sei, ihn aber erwarte, und ob er bitte eintreten und warten wolle.
»Wir sind erst heute morgen wieder hierhergekommen«, fügte der Diener hinzu, »und haben uns noch nicht ganz eingerichtet, Sir, wenn Sie uns bitte entschuldigen wollen. Wäre Ihnen eine Tasse Tee angenehm?«
Parker nahm das Angebot an und ließ sich wohlig in eine Ecke des Chesterfieldsofas sinken. Nach der außerordentlichen Unbequemlichkeit französischer Möbel taten die einschläfernde Nachgiebigkeit unter ihm, die Kissen hinter seinem Kopf und Wimseys ausgezeichnete Zigaretten ihm besonders gut. Was Bunter mit »noch nicht ganz eingerichtet« meinte, blieb sein Geheimnis. Ein fröhlich flackerndes Holzfeuer spiegelte sich in der makellosen Politur des schwarzen Stutzflügels; die weichen Kalbslederrücken von Lord Peters Sammlung seltener Bücher schimmerten sanft vor den schwarzen und blaßgelben Wänden; in den Vasen standen lohgelbe Chrysanthemen; auf dem Tisch lagen die neuesten Ausgaben sämtlicher Zeitungen – als ob der Inhaber der Wohnung nie fortgewesen wäre.
Während Mr. Parker den Tee trank, nahm er die Fotos von Lady Mary und Denis Cathcart aus seiner Brusttasche. Er lehnte sie an die Teekanne und starrte von einem zum andern, als wollte er mit Gewalt einen tieferen Sinn aus ihren leicht geziert lächelnden, etwas verlegenen Mienen herauslesen. Noch einmal nahm er sich seine Pariser Aufzeichnungen vor und hakte verschiedene Punkte mit einem Bleistift ab. »Verflixt«, sagte Mr. Parker, den Blick fest auf Lady Mary geheftet. »Verflixt – verflixt – verflixt –«
Der Gedankengang, den er verfolgte, war außerordentlich interessant. In seinem Kopf jagten sich die Bilder, eines bedeutungsvoller als das andere. Natürlich konnte man in Paris nicht richtig denken – es war so unbequem dort, und die Häuser hatten Zentralheizung.
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