Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
in den Hintergrund treten. Dennoch war sich Seine Lordschaft noch nie im Leben so schäbig vorgekommen wie jetzt, als er in Grider's Hole die Treppe hinunterging.
In der großen Küche stand eine dicke Magd und rührte in einem Kessel mit Eintopf. Er fragte nach Mr. Grimethorpe und erhielt die Auskunft, daß er fortgegangen sei.
»Könnte ich dann wohl mit Mrs. Grimethorpe sprechen?«
Die Frau sah ihn skeptisch an, dann wischte sie sich die Hände an der Schürze ab, ging in die Spülküche und rief: »Mrs. Grimethorpe!« Von irgendwoher draußen antwortete eine Stimme.
»Der Herr will Sie sprechen.«
»Wo ist denn Mrs. Grimethorpe?« fragte Peter rasch.
»In der Käserei, glaub ich.«
»Ich gehe zu ihr hinaus«, sagte Wimsey und war schon draußen. Er ging durch die gekachelte Spülküche und dann über einen Hof, gerade als Mrs. Grimethorpe gegenüber aus einem dunklen Eingang trat.
Wie sie da im Türrahmen stand, kaum daß die kalte Sonne ihr starres, totenbleiches Gesicht und das füllige dunkle Haar berührte, war sie schöner denn je. In den großen dunklen Augen und den geschwungenen Lippen war nicht die Spur von Yorkshire-Blut zu entdecken. Die Form der Nase und Wangenknochen sprach von einer unendlich fernen Herkunft; wie sie dort aus der Dunkelheit kam, hätte sie soeben ihrem Grabmal bei den Pyramiden entstiegen sein und sich die vertrockneten, balsamierten Mumientücher von den Händen gestreift haben können.
Lord Peter riß sich zusammen.
»Fremdländisch«, sagte er ruhig bei sich. »Leichter jüdischer – oder spanischer? – Einschlag. Bemerkenswerter Typ. Kann es Jerry nicht verdenken. Würde es ja selbst nicht bei Helen aushalten. Und jetzt los.«
Er trat schnell auf sie zu.
»Guten Morgen«, sagte sie. »Geht es Ihnen jetzt besser?«
»Danke, ausgezeichnet – dank Ihrer Güte, von der ich nicht weiß, wie ich sie Ihnen vergelten soll.«
»Sie vergelten mir jede Güte am besten, indem Sie sofort gehen«, antwortete sie mit ihrer wie abwesend klingenden Stimme. »Mein Mann mag keine Fremden, und Ihre erste Begegnung ist sehr unglücklich verlaufen.«
»Ich gehe auch gleich. Aber zuerst muß ich Sie um ein kurzes Wort bitten.« Er sah an ihr vorbei in die Düsternis der Käserei. »Vielleicht da drinnen?«
»Was wollen Sie von mir?«
Trotzdem trat sie zurück und gestattete ihm, ihr zu folgen.
»Mrs. Grimethorpe, ich befinde mich in einer äußerst peinlichen Lage. Sie wissen, daß mein Bruder, der Herzog von Denver, im Gefängnis sitzt und wegen eines Mordes angeklagt werden soll, der in der Nacht des 13. Oktober geschehen ist?«
Ihr Gesicht zeigte keine Regung. »Ich weiß davon.«
»Er weigert sich auf das entschiedenste, zu sagen, wo er in der betreffenden Nacht zwischen elf und drei Uhr war. Seine Weigerung bringt ihn in große Lebensgefahr.«
Sie sah ihn fest an.
»Er fühlt sich bei seiner Ehre verpflichtet zu schweigen, aber ich weiß, daß er einen Entlastungszeugen beibringen könnte, wenn er spräche.«
»Es scheint ein Mann von Ehre zu sein.« Ihre kalte Stimme schwankte ein wenig, fing sich aber gleich wieder.
»Ja. Zweifellos tut er aus seiner Sicht das Richtige. Sie werden jedoch verstehen, daß ich als sein Bruder natürlich darauf bedacht bin, die Dinge ins rechte Licht zu rücken.«
»Ich weiß nicht, warum Sie mir das sagen. Wenn es etwas Ehrenrühriges ist, will er es wahrscheinlich nicht bekannt werden lassen.«
»So sieht es aus. Aber für uns – seine Frau und seinen kleinen Sohn sowie seine Schwester und mich – stehen sein Leben und seine Sicherheit an erster Stelle.«
»Noch vor seiner Ehre?«
»Das Geheimnis ist zwar auf gewisse Weise entehrend und wird seiner Familie unangenehm sein. Aber es wäre noch unendlich entehrender, wenn er wegen Mordes hingerichtet würde. In diesem Falle würde die Schande auf alle fallen, die seinen Namen tragen. Die Schande der Wahrheit wird, wie ich fürchte, in dieser unserer höchst ungerechten Gesellschaft mehr auf diejenige fallen, die sein Alibi bezeugt, als auf ihn selbst.«
»Können Sie dann von dieser Zeugin erwarten, daß sie sich meldet?«
»Um die Verurteilung eines Unschuldigen zu verhindern? Ja, ich glaube sogar das erwarten zu dürfen.«
»Ich frage noch einmal – warum erzählen Sie das alles mir?«
»Weil Sie, Mrs. Grimethorpe, besser wissen als ich, wie unschuldig mein Bruder an diesem Mord ist. Glauben Sie mir, es schmerzt mich sehr, Ihnen das sagen zu müssen.«
»Ich weiß nichts von
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