Sayers, Dorothy L. - Lord Peter 02 - Diskrete Zeugen
gedemütigt, in die Schranken gewiesen, ein Ochse vorm Scheunentor. Außerdem ist von allen Verteidigungsmöglichkeiten ein Alibi am schwersten glaubhaft zu machen, sofern man nicht ein ganzes Heer von unabhängigen und unbeteiligten Zeugen aufbietet, die es bestätigen. Wenn Jerry bei seinem Nein bleibt, wissen sie mit Sicherheit nur, daß entweder er oder Mrs. Grimethorpe sich ritterlich verhält.«
»Du hast doch den Brief.«
»Schon. Aber wie sollen wir beweisen, daß er an dem fraglichen Abend angekommen ist? Der Umschlag ist vernichtet. Fleming kann sich an nichts erinnern. Jerry könnte ihn schon Tage vorher bekommen haben. Oder er könnte überhaupt gefälscht sein. Und wer kann beschwören, daß ich ihn nicht selbst in den Fensterrahmen geklemmt und dann so getan habe, als hätte ich ihn gefunden? Immerhin kann man mich schwerlich als unbefangenen Zeugen bezeichnen.«
»Bunter hat gesehen, wie du ihn gefunden hast.«
»Hat er nicht, Charles. In dem fraglichen Augenblick war er nicht im Zimmer, weil er Rasierwasser holen ging.«
»Ach, so war das?«
»Und außerdem kann nur Mrs. Grimethorpe allein das beschwören, was eigentlich der springende Punkt ist – wann Jerry bei ihr angekommen und wann er wieder gegangen ist. Wenn er nicht spätestens um halb eins in Grider's Hole war, ist es vollkommen unerheblich, ob er da war oder nicht.«
»Aber«, sagte Parker, »könnten wir uns Mrs. Grimethorpe nicht wenigstens warmhalten, wie man so sagt –?«
»Klingt ein bißchen frivol«, meinte Lord Peter, »aber halten wir sie uns mit dem größten Vergnügen warm, wenn du willst.«
»– und inzwischen«, fuhr Mr. Parker unbeirrt fort, »alles daransetzen, den richtigen Täter zu finden?«
»O ja«, sagte Lord Peter. »Und da fällt mir etwas ein. Ich habe im Jagdhaus eine Entdeckung gemacht – ich glaub's wenigstens. Ist dir aufgefallen, daß eines der Arbeitszimmerfenster mit Gewalt geöffnet worden war?«
»Nein, wirklich?«
»Ja. Ich habe eindeutige Spuren gefunden. Natürlich war das lange nach dem Mord, aber es waren unübersehbare Kratzer am Riegel – wie sie zum Beispiel ein Taschenmesser hinterlassen würde.«
»Wie dumm von uns, damals nicht darauf geachtet zu haben!«
»Warum hätten wir das eigentlich tun sollen? Jedenfalls habe ich Fleming danach gefragt, und er sagt, jetzt wo er darüber nachdenkt, kann er sich erinnern, daß er am Donnerstagmorgen das Fenster offen vorgefunden hat und nicht wußte, wieso. Und noch etwas. Ich habe einen Brief von meinem Freund Tim Watchett erhalten. Hier ist er:
›Mylord – ich komme auf unser Gespräch zurück. Ich habe einen Mann gefunden, der am Abend des 13. letzten Monats mit dem Betreffenden im Pfeifenden Eber war, und er sagt, daß der Betreffende sich von ihm ein Fahrrad ausgeliehen hat, welchselbiges später mit verbogener Lenkstange und verbeulten Rädern an der Stelle, wo der Betreffende aufgelesen wurde, im Graben gefunden worden war. Ihrem geschätzten Wohlwollen empfiehlt sich weiterhin
Ihr
Timothy Watchett‹
Was hältst du davon?«
»Dem lohnt sich nachzugehen«, meinte Parker. »Wenigstens hemmen uns jetzt keine häßlichen Zweifel mehr.«
»Nein. Und wenn Mary auch meine Schwester ist, muß ich doch sagen, daß sie von allen dummen Puten die dümmste ist. Erst läßt sie sich mit diesem entsetzlichen Flegel ein –«
»Da hat sie sich wunderbar verhalten«, sagte Mr. Parker und wurde ziemlich rot. »Nur weil sie deine Schwester ist, kannst du gar nicht ermessen, wie wunderbar sie war. Wie sollte denn so eine reine und edle Seele wie ihre diesen Menschen durchschauen? Wo sie selbst so ernsthaft und durch und durch ehrlich ist, beurteilt sie doch jeden nach demselben Maßstab. Daß ein Mensch so windig und wankelmütig sein könnte wie dieser Goyles, hat sie erst geglaubt, als es ihr bewiesen wurde. Und selbst dann hat sie sich nicht dazu durchringen können, schlecht von ihm zu denken, bis er sich durch seine eigenen Worte bloßgestellt hat. Es war großartig, wie sie für ihn gekämpft hat. Stell dir doch nur einmal vor, was es eine so großartige, grundehrliche Frau gekostet haben muß, zu –«
»Schon gut, schon gut!« rief Peter, der seinen Freund starr vor Staunen angeglotzt hatte. »Steigere dich nicht so hinein. Ich glaub's dir ja. Verschone mich. Ich bin ja nur ein Bruder. Alle Brüder sind Narren. Alle Verliebten sind Irre – meint Shakespeare. Hast du ein Auge auf Mary geworfen, altes Haus? Du siehst mich
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