Sayers, Dorothy L. - Wimsey 14 - Feuerwerk
begegnen. Hawke deckt die Sache mit den Briefen auf, obwohl sie von verschiedenen Gegenden abgeschickt worden sind …«
Hier stieß Miss Robbins, deren Bleistift wie trunken über das Papier raste, einen kleinen Schrei aus.
»Hawke entdeckt natürlich den Ursprung des Papiers, der Tinte und so weiter. Wir wollen einen Daumenabdruck auf einem der Umschläge annehmen. Nicht von Jones – von seiner Verlobten, die die Briefe für ihn zur Post getragen hat. Sie ist ein gutes Mädchen, steht aber hoffnungslos unter seinem Einfluß. Wir verheiraten sie am besten zum Schluß mit einem netteren Menschen. Nicht Major Hawke – jemand anders. Wir erfinden noch einen anständigen Kerl für sie. Mir schwebt da eine gute Szene vor, in der sie das Beweismaterial verbrennt, während die Polizisten an die Tür hämmern. Wir müssen natürlich darauf achten,
daß sie etwas vergißt, sonst würde Jones ja nicht geschnappt werden. Und dann die Szene vor Gericht – die wird fabelhaft …!«
»O Mr. Podd! Wird man den armen Jones hängen? Ich meine,
es erscheint mir sehr hart, wo er es doch nur aus Spaß getan hat.«
»Das ist ja gerade die Ironie«, erklärte Mr. Podd mit grausamer Kälte. »Immerhin sehe ich, was Sie meinen. Das Publikum will ihn gerettet wissen. Nun, da verwandeln wir ihn eben in einen schlechten Charakter, in einen Mann, der Frauenherzen zertrampelt und über ihre Qualen lacht. Alle wirklichen Verbrechen begeht er ungestraft, und dann – das ist die Ironie – fällt er bei einem harmlosen Scherz herein. Notieren Sie: ›Jones hat einmal zuviel gelacht.‹ Muß einen besseren Namen finden als Jones. Lester klingt ganz gut. Jeder nennt ihn den ›lachenden Lester‹. Blond, lockiges Haar – notieren Sie das –, aber die Augen zu dicht beieinander, ha, das geht ja wie geschmiert!« »Und dieser Brief an Mr. Ramp«, begann Miss Robbins, sobald der Entwurf erfolgreich skizziert war. »Vielleicht möchten Sie ihn lieber nicht absenden?«
»Nicht absenden?« wiederholte Mr. Podd erstaunt. »Er ist doch wunderbar. ›DIE ZEIT WIRD KOMMEN – und es ist schon später, als Sie denken.‹ Natürlich wird er abgesandt.
Ramp muß aufgerüttelt werden.«
Miss Robbins schickte den Brief gehorsam ab – wobei sie jedoch Handschuhe trug.
Erst als die Zeiger auf Mr. Podds Zifferblatt 11.45 erreicht hatten und die Botschaft lautete: ›Morgen, morgen und wieder morgen‹, kam ihm der Gedanke, die Reaktion seines Opfers persönlich zu testen, und zwar genau um 11.45 in Piccadilly Circus. Mit einem heiseren Gelächter, das die Blicke der Passanten auf ihn lenkte, stürzte er Hals über Kopf die Treppe zur Untergrundbahn hinab und dort in eine Telefonzelle, wo er sich mit Mr. Ramps Büro verbinden ließ.
Eine weibliche Stimme verkündete, daß Mr. Ramp nicht zu sprechen sei, und erkundigte sich nach dem Namen des Anrufenden. Mr. Podd war darauf vorbereitet und erwiderte, es handle sich um eine streng vertrauliche und sehr dringende Angelegenheit, außerdem könne er seinen Namen nur Mr. Ramp enthüllen. Das Mädchen schien weniger überrascht und weniger unbeugsam, als er erwartet hatte. Sie verband ihn mit Mr. Ramp.
Eine scharfe, gequälte Stimme sagte: »Ja? Ja? Wer ist dort!« Mr. Podd senkte seine von Natur aus ziemlich hohe Stimme zu einem eindrucksvollen Krächzen.
»DIE ZEIT WIRD KOMMEN!« sagte er. Es folgte eine Pause.
»Wie bitte?« fragte die scharfe Stimme gereizt.
»DIE ZEIT WIRD KOMMEN!« wiederholte Mr. Podd. Dann fügte er, von einer plötzlichen Inspiration getrieben, hinzu:
»Sollen wir die Abzüge an den Staatsanwalt senden?« Wieder trat eine Pause ein. »Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden. Wer ist eigentlich am Apparat?«
Mr. Podd lachte teuflisch und legte den Hörer auf.
»Und warum nicht?« sagte Mr. Podd später zu Miss Robbins.
»Man schickt dauernd Probeabzüge an Premierminister und Literaturkritiker. Die Meinung des Staatsanwalts dürfte ebenso gut sein wie die der anderen. Notieren Sie das.«
Zwei Tage verstrichen. Die tägliche Botschaft enthielt nur noch das ominöse Wort: »Morgen.« Mr. Podd diktierte drei Kapitel von Ein Pfeil überm Haus hintereinander weg und ging mit einem Freund in eine Teestube, nachdem er Miss Robbins beauftragt hatte, das Manuskript von Die Zeit wird kommen einzupacken und per Post an Mr. Milton Ramp zu schicken. Es war ein rauher, nebliger Tag. Außerdem kalt – Miss Robbins schürte den Ofen in Mr. Podds Studio, um ihre steifen Finger zu wärmen. Als
Weitere Kostenlose Bücher